Kommentar. Mit einem Klimapaket bringt die EU-Kommission konkrete Pläne ins Spiel – während Existenzen an den Fenstern vorbeifluten.
Eigentlich sollte der vergangene Mittwoch ein Lobpreisungsfest für den eigenen Mut der EU-Kommission sein. Früh am Tag sprangen die selbstbewussten und selbstiszenierenden Zitate von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen durch die Medien. Als EU seien „wir die ersten, die konkrete Vorschläge machen, wie dieses Ziel erreicht werden kann. Wir fordern andere Nationen auf, dasselbe zu tun“ so die Kommissions-Präsidentin. Denn im Laufe des Tages sollte die EU-Kommission ein Paket vorstellen, das abstrakte Klimaziele erstmals in konkrete Pläne fasst. Bis 2030 sollen die CO2-Emissionen um 55 Prozent im Vergleich zu 1990 gesenkt werden, bis 2050 soll die Klimaneutralität erreicht sein. So hatte es das Parlament im Juni beschlossen und darauf aufbauend bildet sich nun ein Paket aus geändertem CO2-Zertifikatshandel, Energieausbau, dem Ende des Verbrenners und Strukturen für den sozialen Ausgleich. Der Vorstoß ist nicht ohne und ist der bisher folgenreichste Plan, den eine Regierung bis jetzt umsetzen will.
Soweit, so gut – so viel Schulterklopfen. Dann kam jedoch die zweite Hälfte des Mittwochs und hat mit schreiender Deutlichkeit gezeigt, wovor Expert:innen und Klimaaktivist:innen nicht erst seit Fridays for Future, sondern bereits seit Jahrzehnten warnen: Die Klimakrise ist da und sie ist vor der Haustür. Die Überflutungen, die sich über die Folgetage abspielten und deren Zerstörung von Leben und Existenzen immer noch nicht greifbar ist, zeigten, was schon lange feststand. Nämlich, dass auch ein ambitioniertes Handeln die Folgen der Klimakrise nicht stoppen kann. Bisher fühlten sich Industrie und Politik sicher. Betroffen waren ärmere Gebiete, weit weg. Was ist dann schon ein bisschen globales Klima, solange man hinauszögern kann, Benzin- und Heizkosten zu erhöhen? Die Folgen treten nun zu Tage und lassen ein trübes Licht auf die Lobpreisungen von der Leyens mit gleichzeitigem Fingerzeig auf andere Länder scheinen.
Denn dafür, um sich jetzt als vorbildlich zu zeigen, folgten die Regierungen in Europa und weltweit zu lange den Richtungsweisungen der klimazerstörenden Industrien. 1989 titelte eine Überschrift aus der Los Angeles Times; „Global Warming Is Expected to Be the Hot Issue of 1990s“ (dt.: Klimaerwärmung wird voraussichtlich das heiße Thema der 1990er). Die 90er sollten demnach laut Weltbank und Rechercheorganisationen das Jahrzehnt der Umkehr sein. Daraus wurde jedoch nichts, nachdem die klimazerstörenden Industrien Klimaforschung gezielt torpedierten, Parteien in den Schlepptau zogen und zwei verlorene Jahrzehnte erschufen. Doch die Warnungen der im Artikel zitierten Wissenschaftler lesen sich unbehaglich modern. Alle Prophezeiungen die heute schon fast den Anschein von gebetsmühlenartig wiederholten Floskeln haben, wurden bereits 1989 geäußert. Zu spät sei es, den Klimawandel aufzuhalten, aber die Auswirkungen können minimiert werden, heißt es. Es ist die Rede von einer globalen Umweltkatastrophe, durch die Meeresspiegel steigen, Wälder sterben und Wüsten größer werden. Das alles bis zur Mitte des Jahrhunderts.
Diese Warnungen wurden ignoriert, klein geredet und diskreditiert. Die Folgen davon sind seit einigen Jahren nun auch im reichen Mitteleuropa angekommen. Selbstverständlich müssen andere Nationen so schnell und so drastisch handeln, wie es vorstellbar ist. Doch es ist kein Erfolg, als Erste loszulaufen, nachdem das ganze Feld Jahrzehnte an der Startlinie Pause gemacht hat.
:Stefan Moll
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