Bild: Was manche „Cancel Culture“ nennen, ist für sie ein berechtigter Kampf: Aktivist:innen an der Uni Frankfurt. , Umkämpfter Raum Hochschule Bild: Studis gegen rechte Hetze

Hochschulpolitik. Von den USA über Europa bis Australien versuchen Rechte derzeit, in den Universitäten und der Wissenschaft durchzugreifen.

Universitäten waren stets umkämpftes Territorium. Daran hat sich nichts geändert, auch wenn die sozialen Auseinandersetzungen innerhalb der Studierendenschaft derzeit nicht dieselbe Dynamik wie in den 1960er und 70er Jahren entfalten. Während jene, die an den Hochschulen im weitesten Sinne als politisch links einzuordnen sind, seit einigen Jahren weniger durch Kämpfe in die Gesellschaft hineinwirken als sie sich viel mehr in von poststrukturalistischen und identitätspolitischen Ideen durchdrungenen Spezialdiskussionen vertiefen, werden im Bereich Hochschulpolitik zunehmend handfeste Angriffe von Rechts organisiert.

So etwa in Frankreich, wo seit Längerem Debatten um einen sogenannten „Islamo-Linksextremismus“ und eine angebliche „Cancel Culture“ an den Unis geführt wird, die sowohl die Macron-Regierung als auch der rechtsradikale Rassemblement National für ihren jeweiligen Wahlkampf und für Eingriffe in die Hochschulpolitik zu nutzen versuchen (:bsz 1280). Ähnliche Auseinandersetzungen gibt es in den USA, wo der Rechtsaußen-Republikaner Ron DeSantis als Gouverneur Floridas kürzlich ein Gesetz unterzeichnete, demzufolge öffentliche Universitäten ihre Studierenden und Angestellten nach ihrer politischen Gesinnung befragen müssen. Unter dem Label der „Förderung intellektueller Vielfalt“ droht die Regierung den Hochschulen mit Kürzungen, wenn dort nicht genug konservatives Gedankengut grassiert. In Großbritannien verkündete die rechte Regierung unter Boris Johnson gar einen „War on Cancel Culture“. Geplant ist ein Gesetz, das „Opfern von Cancel Culture“ Schadensersatzansprüche in Aussicht stellt. Wie die Zeitung The Jacobin berichtet, macht sich mittlerweile auch die australische Regierung daran, in Sachen Hochschulpolitik in die britischen „Fußstapfen zu treten“.

Zumindest was die Unis angeht, kommen solche Vorstöße in Deutschland immerhin noch nicht von der Regierung. Wohl aber von rechten und aus elitären Kreisen. So erging im September 2020 der „Appell für freie Debattenräume“, der von einer ganzen Reihe konservativer, rechter und rechtsgewendeter Prominenter unterzeichnet wurde. Darunter waren der Historiker Götz Aly, der Comedian Dieter Nuhr, der Journalist Peter Hahne, der Grünen-Politiker Boris Palmer, die Schriftstellerin Cora Stephan und der Publizist Matthias Matussek. Letztere beiden hatten bereits 2018 unter anderem gemeinsam mit Thilo Sarrazin, dem Historiker Jörg Baberowski und dem Junge Freiheit-Chefredakteur Dieter Stein eine „Gemeinsame Erklärung“ gegen die „Beschädigung Deutschlands“ durch eine „illegale Masseneinwanderung“ unterzeichnet. Ebenfalls zu den „Appell“-Unterzeichner:innen gehört die Ethnologin Susanne Schröter, die aufgrund ihrer islamfeindlichen Positionen seit Jahren Proteste an der Frankfurter Goethuni provoziert (:bsz 1279). Auch diese wurden von Schröter als „Cancel Culture“ deklariert, ein Labeling, das sowohl von der AfD als auch den meisten Leitmedien gerne übernommen wurde.

Auf die Behauptung, an den Universitäten herrsche eine „linke Meinungsdiktatur“, kann auch ein neues Projekt, das ebenfalls in Frankfurt beheimatet ist, zurückgreifen: die sogenannte „Gegenuni“. Da die Hochschulen fest in linker Hand seien, haben sich die Betreiber:innen entschlossen, per Online-Angebot „Konservativen und Patrioten qualitativ hochwertige Theoriearbeit zugänglich zu machen.“ Derzeit gibt es genau ein Seminar und ein rundes Dutzend Lesekreise. Dafür werden von den Teilnehmer:innen „Studiengebühren“ verlangt, die auf das Konto einer Briefkastenfirma fließen. Die Betreiber:innen kommen aus der neurechten Ecke Deutschlands und auch Österreichs. So gibt es konkrete Hinweise auf die „Identitäre Bewegung“, die ursprünglich aus Frankreich kommend mittlerweile in vielen westeuropäischen Ländern Fuß gefasst hat. Wie das Projekt auf Anfrage der Frankfurter Rundschau erklärte, plane man aber, sich auch in den echten Unis einzumischen.

:Leon Wystrychowski

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