Bild: Das Schicksal wird ihn schon führen: Die Romanfigur glaubt an ihre Bestimmung. , Wenn doch Alles so einfach wäre Bild: hakl

Review. Der Debütroman von Timon Karl Kaleyta erzählt uns von allzu bekannter Naivität.  

Kaleytas namenlose Hauptfigur, die uns aus der Ich-Perspektive aus ihrem Leben berichtet, verhält sich ausschließlich egoistisch. Der „einfache Mann“ ist ein Bochumer Arbeiterkind, dessen unvergleichliche Weltfremdheit vor den Leser:innen unverblümt direkt zu Beginn des Buches entfaltet wird. Denn es setzt am 28. September 1998 ein, dem Tag also, an dem Helmut Kohl nach 16 langen Jahren Kanzlerschaft abgewählt wird, worüber unser Erzähler vollkommen bestürzt ist. Schließlich fühlt er sich trotz seines proletarischen Elternhauses grundsätzlich vom Glück geküsst und könnte sich nichts Furchtbareres vorstellen als weitreichende Veränderungen, die sein Glück gefährden könnten. Verwechselt werden hier persönliche Vorzüge wie gutes Aussehen oder sportliche Begabung, die zu einer sorglosen Jugend führen können, mit politisch geschaffenen Begebenheiten, von denen man schon fast vergessen hat, dass sie veränderbar sind. 

Die Handlung ist offensichtlich autobiografisch geprägt, denn der Autor durchlief dieselben akademischen Schritte wie seine Hauptfigur, etwa ein Soziologiestudium an der RUB oder einen Auslandsaufenthalt in Madrid. Kaleyta ist jedoch keineswegs gnädig mit seiner Vergangenheit, denn retrospektiv erzählt er von einem jungen Mann ohne Mittel, der dennoch fest davon überzeugt ist, dass das Schicksal ihn schon irgendwie immer zum Guten führen wird. Seine wohlhabenderen Freunde, die ein ähnliches Selbstverständnis mit sich bringen, denn sie können am Ende des Tages immer auf finanziellen Rückhalt ihrer Eltern vertrauen, schaffen ein Umfeld, in dem man schnell verdrängt, dass das mit dem erfüllten Leben nicht für jede:n ganz so einfach zu erreichen ist, weil Talent eben häufig nicht ausreicht. Das wird noch einmal ganz deutlich als im Studium plötzlich die Lektüre des französischen Soziologen Pierre Bourdieu und dessen Klassiker Die feinen Unterschiede ansteht. Darin beschreibt Bourdieu den Habitus, den jede soziale Klasse mit sich bringt und die ihr jeweils zugehörigen Menschen in sich determiniert. Nichts könnte ein härterer Schlag für den „einfachen Mann“ sein, denn diese Theorie macht ein funktionierendes Aufstiegsversprechen zu Nichte, auf das das Kind zweier Fabrikarbeiter:innen mit dem Selbstvertrauen eines Zahnarztsohnes aber angewiesen ist. 

Wütend weigert sich Kaleytas Alter Ego, der Theorie Glauben zu schenken und stürzt sich mit vollster Überzeugung weiter in sein Studium und seine nebenbei plötzlich aufkeimende Musikkarriere, um Bourdieu eines Besseren zu belehren. Damit einher gehen mit der Zeit verstärkt wirtschaftsliberale Meinungen sowie ein regelrechter Klassenhass, der sogar dazu führt, den eigenen Eltern nicht ihre kleine Rente zu gönnen. Passenderweise hat man sich auch mit der Zeit sehr gut mit Gerhard Schröder als neuen Bundeskanzler anfreunden können. Doch die Realität wird zeigen, dass manche für einen Auslandaufenthalt horrende Schulden auf sich nehmen müssen und andere nicht. Manche können trotz mittelmäßigem Abitur an einer Privatuni studieren und andere nicht. Kaleyta lässt uns permanent über seine Figur urteilen, dessen Begehren trotz aller fehlenden Sympathie verständlich ist. Beschwingt und auf literarisch höchstem Niveau fallen wir mit dem „einfachen Mann“ immer wieder auf die Fresse und tun schnell wieder so, als wäre das alles Teil eines größeren Planes.

:Hernry Klur

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