Rechtsradikalismus. Trotz Corona und eingeschränktem öffentlichem Leben bleibt die Zahl rechter Gewalttaten in Nordrhein-Westfalen unverändert hoch.
Mindestens 198 Gewalttaten mit rechtem Hintergrund wurden 2020 allein in Nordrhein-Westfalen begangen. Das ist das Ergebnis der gemeinsamen Jahresstatistik der Opferberatung Rheinland (OBR) und von Back Up – Beratung für Opfer rechtsextremer, rassistischer und antisemitischer Gewalt. Demnach waren mindestens 267 Menschen direkt betroffen. Und das trotz Pandemie und Kontaktbeschränkungen, betonen die Herausgeber:innen der Studie. Damit ist die Zahl der Gewalttaten lediglich um zwei Prozent gesunken, oder in konkreten Zahlen ausgedrückt, um vier Delikte. Immerhin ist die Zahl der direkt Betroffenen um fast 60 Personen gesunken. Das ist aber ein schwacher Trost, zumal es dafür Erklärungen gibt, die nicht auf einen allgemeinen Rückgang rechter Gewalt hindeutet: „Zum einen handelt es sich 2020, anders als im Vorjahr, in vielen Fällen um Angriffe auf Einzelpersonen beziehungsweise Zweier- oder Dreiergruppen. Ein Faktor in dieser Entwicklung dürfte sein, dass sich aufgrund der pandemiebedingten Bestimmungen über einen längeren Zeitraum weniger Menschen im öffentlichen Raum bewegten“, heißt es in dem Bericht. Und: „Zum anderen gab es im Vorjahr mehrere Angriffe auf Personengruppen, was sich auf die Anzahl Betroffener auswirkte.“
Das mit Abstand häufigste Tatmotiv war auch im vergangenen Jahr Rassismus, und zwar in 146 Fällen. Bei den ermittelten Betroffenengruppen handelte es sich zuvorderst um Opfer von anti-schwarzem Rassismus, dicht gefolgt von solchen islamfeindlicher und flüchtlingsfeindlicher sowie dann antisemitischer Gewalt. Auf Platz zwei der Opfergruppen lagen mit 43 Fällen politische Gegner:innen. Vor allem im Zusammenhang mit den sogenannten „Corona-Demos“ wurden auch Journalist:innen verstärkt Ziel rechter Angriffe. 24 der Attacken richteten sich indes gegen Kinder und Jugendliche, diese waren in den allermeisten Fällen rassistisch motiviert. Dabei waren sie oft „Kollateralschäden“, weil sie bei Angriffen dazwischen gerieten oder sich einmischten, um Betroffene zu verteidigen. Es gab aber auch Fälle, bei denen Minderjährige gezielt attackiert wurden. Die Fälle von Bedrohungen und Nötigungen haben sich laut der Statistik im vergangenen Jahr mehr als vervierfacht, darunter Morddrohungen am Telefon und Bombendrohungen gegen Moscheen.
Seit 2017 erheben die beiden Opferberatungsstellen rechte und rassistische Gewaltdelikte in NRW. Erfasst werden vor allem antimuslimischer, anti-schwarzer, roma- und flüchtlingsfeindlicher Rassismus, Antisemitismus, der einem umstrittenen Trend folgend gesondert behandelt wird, LGBTQ- und behindertenfeindliche Gewalt sowie Angriffe von Rechten auf politische Gegner:innen. Die Zahlen stützen sich nach Angaben von OBR und Back Up auf Antworten zu parlamentarische Anfragen, auf Pressemitteilungen der Polizei und auf Medienberichte und auf Angaben von Betroffenen, Angehörigen, Zeug:innen und Kooperationspartner:innen der beiden Stellen. Die Daten würden eingehend geprüft. Die Differenz zu den meist niedrigeren Zahlen der Ermittlungsbehörden resultierten aus den unterschiedlichen Herangehensweisen. „Bei fast allen Ausprägungen rassistischer Gewalt“ konstatieren die Beratungsstellen „in den letzten Jahren einen kontinuierlichen Anstieg. Einzig die Angriffe gegen geflüchtete Menschen sind im Vergleich zu 2017 deutlich weniger geworden; sie bewegen sich seitdem aber konstant auf einem hohen Niveau.“ Leicht aber stetig dagegen steigt seit 2017 etwa die antimuslimische Gewalt in NRW. Übergriffe gegen Schwarze Menschen wiederum nahmen zuletzt deutlich zu.
:Leon Wystrychowski
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