Kommentar. Das Verhältnis der Politik zu Menschen mit Migrationshintergrund ist widersprüchlich – und vor allem interessengesteuert.
Es ist nicht leicht, in Deutschland politisch zu partizipieren, wenn man nicht hier geboren ist und keine deutsche Staatsangehörigkeit hat. Ohne deutschen oder zumindest einen EU-Pass ist man von sämtlichen Wahlen ausgeschlossen. Betroffen sind Zehntausende und häufig Menschen, die seit Jahrzehnten in Deutschland leben, zum Teil hier geboren sind. Zu nennen sind etwa Kurd:innen und Libanes:innen, die in den 1980er und 90er Jahren vor dem Krieg im Libanon nach Deutschland flohen und mittlerweile in dritter Generation nur unter Duldung hier leben. Oder Menschen aus der Türkei, die ihre türkische Staatsbürgerschaft nicht aufgeben wollen, weil sie noch immer Familie und Häuser dort haben, jedes Jahr dorthin fliegen und ihren Ruhestand dort verbringen möchten.
Es gibt durchaus ein politisches Interesse, diesen Menschen die Möglichkeit des Wählens vorzuenthalten: Wer nicht wählen darf, auf den braucht die Politik weniger Rücksicht zu nehmen. Ihre Stadtteile sind es, die man getrost vernachlässigen und verkommen lassen kann, bis sie als „Brennpunkte“, „Ghettos“ und „No Go-Areas“ bezeichnet werden. Dafür wiederum werden freilich die Bewohner:innen selbst verantwortlich gemacht, nicht die Politik. Ähnliches gilt übrigens auch für das Fernhalten von der Politik jener, die theoretisch wählen dürfen: für Jahre und zum Teil Jahrzehnte wurden breite Schichten am unteren Ende der sozialen Hierarchie übersehen und als „Stimmvieh“ betrachtet, das einen schon wählen wird. Das galt insbesondere für die Sozialdemokratie mit ihrer Hegemonie in den Gewerkschaften und die durch das KPD-Verbot 1956 als einzige Arbeiterpartei konkurrenzlos blieb. Das führte allerdings mit der neoliberalen Wende, den Wirtschaftskrisen und dem Rückgang der Industrie seit den 1970er Jahren dazu, dass sich eben diese Schichten zunehmend frustriert von den Wahlurnen fernhielten. Nicht umsonst stellen die Nichtwähler:innen seit Jahren regelmäßig die größte Fraktion.
Das rächt sich, wenn Kräfte wie die AfD es schaffen, diese Stimmen als Protestwahlen einzufangen, was sie nicht nur bei „Biodeutschen“, sondern vor allem auch bei Menschen mit Wurzeln in Osteuropa und bei Russlanddeutschen schafft. Türkeistämmige Menschen dagegen wählten lange traditionell die sich als Arbeiterpartei verkaufende SPD, weshalb die CDU ein Interesse hatte, diesen Wähler:innen Steine in den Weg zu legen. Das änderte sich zuletzt: Das Schwächeln der Gewerkschaften, die Neoliberalisierung der SPD und die zunehmende Verbürgerlichung der türkeistämmigen Bevölkerung haben zuletzt zu einem Abwandern hin zu CDU und FDP geführt, wie eine Erhebung der Konrad-Adenauer-Stiftung von Anfang des Jahres zeigt. Das könnte auch bei diesen Parteien zu mehr Interesse am Stimmpotential dieser Bevölkerungsgruppen wecken. Ähnliches gilt für die Syrer:innen, die dauerhaft in Deutschland bleiben wollen. Zunächst dürften Parteien wie Grüne, SPD und Linke von ihren Stimmen profitieren. Der Fall Alaows aus Oberhausen zeigt, dass der Widerstand aus dem konservativen und vor allem rechten Lager entsprechend massiv ist.
:Leon Wystrychowski
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