Schulboykott. Nach Widerstand von Kommunen, Eltern, Lehrer:innen und Schüler:innen gegen die forcierte Schulöffnung rudert die NRW-Landesregierung zurück.
Während Lockdown-Gegner:innen vor negativen Auswirkungen auf Psyche, Wirtschaft und soziale Sicherheit warnen, befindet sich die Bundesrepublik seit fast einem Jahr bereits faktisch in einem Teufelskreis aus Lockdown-Light, der Einzelunternehmen und kleinere Selbstständige dahinrafft und Lockerungen, die die Ausbreitung von Covid-19 in Wellen vorantreibt. Lange hielt sich auch das Gerücht, wonach sich das Corona-Virus in Schulen angeblich nicht verbreite — in Wahrheit war die ursprüngliche Aussage, dass Schulen keine besonderen Hotspots seien, im Vergleich zu anderen Hotspots, wo ähnlich viele Menschen zusammenkämen. Mit den neuen Mutationen, die zunehmend auch jüngere Menschen heftig treffen, steigt verständlicherweise die Sorge um die Ansteckung von Schüler:innen. Gleichzeitig mit den neuen Virus-Varianten wurden in der Bundesrepublik aber die Schulen wieder für Präsenzunterricht geöffnet. Nicht auf Grundlage irgendwelcher medizinischer Überlegungen, sondern aus politischen und wirtschaftlichen Gründen: Wenn die Eltern zunehmend wieder arbeiten und einkaufen und alles wie in Vor-Corona-Zeiten laufen soll, sind Kinder daheim, die betreut werden sollen, fehl am Platz.
Besonders rabiat zeigt sich die schwarz-gelbe Landesregierung in Nordrhein-Westfalen, wo der Landesministerpräsident und frisch gebackene CDU-Vorsitzende Armin Laschet von Beginn an einen im wahrsten Sinne des Wortes „liberalen“, nämlich wirtschaftsfreundlichen Kurs der lockeren Politik im Umgang mit Corona fuhr. Weniger locker zeigt sich die Landesregierung nun aber im Umgang mit den Kommunen: Trotz der infolge der Öffnungen rapide steigenden Inzidenzwerte erlauben FDP und CDU den Städten nicht, Schulen wieder zu schließen, im Gegenteil mussten nach den Grundschulen zuletzt auch die höheren Stufen schrittweise vom Online- zum Präsensunterricht übergehen. So war es zuletzt zur Auseinandersetzung zwischen dem Dortmunder Oberbürgermeister Thomas Westphal (SPD) und der Landesregierung gekommen. Westphal, der nach der Aussetzung von Impfungen mit AstraZeneca die Schulen schließen wollte, musste sich den Anweisungen aus Düsseldorf fügen, nannte sie jedoch „inakzeptabel“. „Die Landesregierung scheint noch immer nicht bereit zu sein, auf die veränderte Dynamik der Pandemie zu reagieren“, erklärte er. Auch in anderen Kommunen, etwa in Duisburg, sowie auf Landesebene kam Kritik von SPD und Grünen. Eine Schulschließung mindestens bis Ostern wurde gefordert.
Aber auch von Eltern, Lehrer:innen und Schüler:innen kam scharfe Kritik am bisherigen Kurs der nordrhein-westfälischen Landesregierung. So sprach etwa die Landeselternschaft der Gymnasien, der mitgliederstärkste Elternverband in Deutschland, von einem „Ritt auf der Rasierklinge“. Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) kritisierte die Öffnungen. So sprach etwa Jana Koch vom Kreisverband Oberberg von einem „Himmelfahrtskommando“. Einzelne Schulen setzten sich über die Anordnungen einfach hinweg. In Bonn nahmen Eltern die Sache selbst in die Hand und organisierten kurzerhand einen Schulboykott, und das trotz einer drohenden Geldstrafe von 5.000 Euro wegen Unterlaufens der Schulpflicht. Schon im November hatten Schüler:innen einer Berufsschule in Essen einen Corona-Schulstreik organisiert, mit dem sie Hybrid-Unterricht durchsetzen wollten (:bsz 1270).
Mittlerweile rudert die Landesregierung zumindest teilweise zurück: Auf einer von der Opposition einberufenen Sondersitzung im Landtag erklärte Laschet: „Es kann ab dem 22. März keine weiteren Öffnungen geben.“ Kurz darauf gaben die ersten Kommunen bekannt, wieder auf Distanzunterricht umzuschalten. Widerstand kam prompt von NRW-Wirtschaftsminister Andreas Pinkwart (FDP). Er vertrat die Meinung, dass die bisherigen Impfungen bereits ausreichten, um weitere Lockerungen zu legitimieren. Damit geht das Tauziehen um Lockdown-Light und wirtschaftsliberalem Öffnungsdrang in die nächste Runde.
:Leon Wystrychowski
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