Nachruf. Mit dem Tod der Musikerin und Produzentin SOPHIE verliert die Avantgarde-Musikszene eine ihrer größten Ikonen. Ein Nachruf.
Einen Text über den Tod einer Künstlerin oder eines Künstlers zu schreiben ohne zumindest ab und an in Plattitüden zu verfallen ist eine wohl unmögliche Aufgabe. Kaum etwas wurde noch nicht gesagt oder geschrieben, kaum etwas hat man noch nicht gehört oder gelesen. Am 30. Januar 2021 stürzte die Musikerin und Produzentin SOPHIE gegen 4 Uhr morgens von einem Hausdach in Athen, auf das sie kletterte, um den Vollmond zu fotografieren und erlag im Krankenhaus ihren Verletzungen. Ihre Familie bat die Öffentlichkeit und Fans ihre Privatsphäre zu respektieren. Musiker:innen aus ihrem Umfeld drückten daraufhin ihr Beileid und den Schock, den diese Neuigkeiten bei ihnen hinterließen, aus. In ihrer Arbeit als Produzentin hatte sie unter anderem mit Madonna, Charli XCX und Vince Staples zusammengearbeitet, um nur einige wenige Namen zu nennen. Mit diesen Kollaborationen, ihren eigenen Produktionen und auch dem Debüt-Album „Oil of Every Pearl‘s Un-Insides“, welches 2018 erschien, hinterlässt sie einen tiefen Eindruck in Musikszenen von Pop bis Avantgarde-Elektro. Bei DJ-Sets und Live-Auftritten wurde auch immer wieder auf ein zweites Album, welches den Namen „Trans Nation“ tragen sollte, angespielt. Wie komplett die Aufnahmen zum Zeitpunkt ihres Todes waren, ist bisher nicht bekannt.
Wer auch nur einen Track von SOPHIEs Debüt-Album hört, versteht schnell, woher ihr Ruf als innovative und experimentelle Künstlerin kam. Pop-Banger wie „Immaterial“ strotzen vor positiver Energie, ob in ihren Texten oder Beats, geben dabei ihre experimentellen Wurzeln jedoch nie auf. Ruhigere Lieder, wie der tragisch-relevante opening track „It‘s Okay to Cry“ überzeugen mit ätherischen Synthesizern und spärlicher Instrumentierung, die sich zu einem Crescendo hocharbeiten, welches einen jedoch kaum auf die nächsten zwei Songs vorbereitet. „Ponyboy“ und „Faceshopping“ zeigen die andere Seite von SOPHIEs Musik: Chaotisch, jedoch nie unkontrolliert und immer bewusst gewählt. Stechende high-pitched Synthesizer, metallische Geräusche, Peitschenknallen, dazu Vocals die tief untergehen in Effekten, kontrastiert mit melodischen Momenten. Ein Sound der es schafft das Gefühl von Latex und Metall in auditive Eindrücke zu verwandeln. SOPHIEs Texte, die sich im Fall von „Ponyboy“ mit Fetisch-Thematik beschäftigen, nicht explizit genug für die entsprechende Kennzeichnung, jedoch explizit genug um unmissverständlich zu sein, sind wichtiger Aspekt ihrer Musik. Ihre Identität als trans Frau spielt – ihr Coming Out geschah in Form des Musikvideos zur Single „It‘s Okay to Cry“, in dem sie das erste Mal selbst auftrat – eine wichtige Rolle, so auch im bereits erwähnten Track „Faceshopping“, der die Verknüpfung von Aussehen und dessen Veränderung mit Identität behandelt.
Ihr Schaffen fand selbstverständlich nicht in einem Vakuum statt, und sie arbeitete oft mit Künstler:innen des Labels „PC Music“ zusammen, welches bekannt ist für eine dissonante, campy Mischung aus überdrehten Pop-Klischees und düsteren Noten, eng verknüpft mit queeren Identitäten und Ironie. Ihre Musik zu beschreiben und über ihr musikalisches Umfeld zu reden, kann ihrem Schaffen jedoch nicht gerecht werden. Viele Fans erzählten nach SOPHIEs Tod, wie wichtig ihre Musik für ihre eigene Identitätsfindung war. Ein Verlust ist er nicht nur für die Musikszene, sondern für alle, die in ihr etwas sahen, was sie in sich selbst wiederfanden. Mut, und ein Bewusstsein dafür, wie die eigene Selbstverwirklichung mit den Konventionen, die von der Gesellschaft vermittelt werden, zusammenhängt und wie befreiend es sein kann, diese zu durchbrechen und in etwas Positives und Bekräftigendes zu transmutieren.
:Jan Krischan Spohr
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