Kommentar. Am 27. Januar war der Gedenktag für die Opfer des deutschen Faschismus. Wann kommt der Tag, an dem gehandelt wird?
Auschwitz – der Name steht wie kein anderer für die Verbrechen der Nazis. Er ist zum Synonym für die Sho’ah, die systematische Vernichtung der europäischen Juden, geworden. Über eine Million Menschen fanden hier den Tod. Am 27. Januar 1945 wurde das KZ von der Roten Armee befreit. Das Datum wird seither als Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus begangen. Richtig? Falsch. Erst seit 1996 ist der 27.1. ein gesetzlicher Gedenktag. Natürlich begann eine Auseinandersetzung mit den NS-Verbrechen schon früher. In der DDR, die von ehemaligen KZ-Insassen aufgebaut wurde, bereits 1945. Der dortige Antifaschismus mag „verordnet“ gewesen sein. In der Bundesrepublik, in der Altnazis weiterhin das Sagen hatten, gab es dafür überhaupt keinen. Hier wurde eine Aufarbeitung von den Täter:innenkindern erst zwei Jahrzehnte später erkämpft.
Nun gut, aber heute sind wir ja schlauer. Wirklich? Wer war denn die größte Opfergruppe damals? Mit 27 Millionen waren das die Sowjetbürger:innen, die als „slawische Untermenschen“ vernichtet wurden. Die ersten Opfer nach der Machtübernahme waren zudem die politischen Gegner:innen, vor allem Kommunist:innen. Die waren aber gemeinsam mit der UdSSR auch nach 1945 weiterhin der Feind, deshalb redet man da bis heute nicht gern drüber. Wer noch? Roma, mit einer halben Million Toten. Ist man sich in Deutschland erfreulicherweise der Verbrechen gegen Jüdinnen und Juden relativ bewusst, ist die Ignoranz gegenüber diesen ebenfalls aus rassistischen Gründen verfolgten Menschen unermesslich. Roma werden heute kaum besser behandelt als in den Jahrhunderten zuvor.
Wie verstellt das Erinnern an die NS-Zeit ist, zeigte sich letztes Jahr, als der Spiegel postete, die US-Army habe Auschwitz befreit. Wie hätte es auch anders sein können? Schließlich begann die Niederlage der Nazis ja auch mit dem D-Day 1944 und nicht mit Stalingrad 1943. Und Berlin wollte – so stellte es eine Doku von Terra X kürzlich dar – nicht in erster Linie die Sowjetunion vernichten und die Öl-Quellen im Kaukasus erobern, sondern nach Palästina. Der ganze Weltkrieg, um die damals wohl weniger als 500.000 Jüdinnen und Juden dort zu ermorden? Seriöse Historiker:innen wissen es natürlich besser. Aber derlei populär„wissenschaftlicher“ Blödsinn verfängt. Am Ende waren die Faschisten dann keine skrupellosen Machtpolitiker, sondern nur Verrückte, das pure Böse, mit dem man angeblich nichts mehr zu tun hat und das man nicht verstehen kann. Im Übrigen ist es interessant, dass bis heute der Propagandabegriff „Nationalsozialismus“ unhinterfragt von den Nazis übernommen wird. Dabei ist es doch kein Wunder, dass er immer wieder Hobby-Logiker:innen wie Erika Steinbach (ehemals CDU) zu der Erkenntnis verleitet, die Nazis seien doch eigentlich links gewesen. Das war natürlich der Sinn dahinter, genau wie bei dem Namen „Arbeiterpartei“ und den roten Fahnen, auf die man einfach noch das Hakenkreuz klatschte.
Was nun also? Nicht mehr gedenken, sondern frustriert sein über die Art, wie gedacht wird? Sicher nicht. Der 27. Januar sollte Gedenktag bleiben – und der 8. Mai, der in der BRD völlig ignoriert wird, Gedenk- oder vielleicht sogar besser Feiertag werden. Vor allem aber braucht es Konsequenzen! Jedes Jahr Kränze niederlegen macht nichts wieder gut. Von „Wiedergutmachung“ kann ohnehin nicht die Rede sein, solange Zwangsarbeit in den KZs nicht auf die Rente angerechnet wird, die Arbeit als KZ-Aufseher aber schon. Vor allem muss jedoch klar sein: „Nie wieder Auschwitz“, das muss auch heißen: Nie wieder Hanau, nie wieder Halle, nie wieder Solingen, nie wieder Rostock-Lichtenhagen! Es muss heißen: Nie wieder Oury Jalloh und nie wieder Christy Schwundeck! Es muss heißen: Nie wieder Lager, nie wieder geschlossene Grenzen für Geflüchtete! Es muss heißen: Nie wieder Krieg mit Russland, nie wieder Krieg überhaupt! Von all dem kann im Jahr 2021 nicht die Rede sein.
:Leon Wystrychowski
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