Kommentar. Das Thema der „Corona-Partys“ war in der Berichterstattung der letzten Monate beinahe omnipräsent. So unverantwortlich diese jedoch sein mögen, stellt sich die Frage welchen Stellenwert im Infektionsgeschehen sie tatsächlich hatten und haben.
Sogenannte, illegale „Corona-Partys“. Jugendliche versammeln sich, entweder unter freiem Himmel oder in Wohnungen oder leerstehenden Gebäuden, um zu feiern, und das trotz der Infektionsgefahr und geltenden Auflagen zur Eindämmung des Corona-Virus. Oder, und das ist noch unheimlicher: Größere Menschengruppen mit den „falschen“ Nachnamen treffen sich zu „Clan-Hochzeiten“. Denn nur eins ist schlimmer und gruseliger als unverantwortliche junge Menschen: Unverantwortliche junge Menschen mit Migrationsgeschichte. Das alles sei zumindest ein wichtiger Grund für die aktuellen, katastrophalen Infektionszahlen, so hörte und hört man es oft genug. Das alles jedoch ohne irgendeine statistische oder wissenschaftliche Basis.
Eine tatsächlich bedeutende Rolle für die Verbreitung des neuartigen Corona-Virus in Europa spielte im März der Tiroler Tourismus-Hotspot Ischgl. Oftmals junge Partygäste steckten sich hier an und verteilten das Virus bei der Heimreise über ganz Europa. Doch aus diesem Fall eine Geschichte fehlender persönlicher Verantwortung zu machen ist reduktiv. Die Ergebnisse einer Untersuchung durch eine Expertenkommission sieht schwere Fehler im Management der Situation, wie beispielsweise den zu lang fortgesetzten Betrieb der Ski-Anlagen. Die internationalen Touristen seien außerdem nicht ausreichend mit Informationen versorgt worden, womit die unkontrollierte Ausreise und somit auch Verbreitung des Virus wohl hätte verhindert werden können.
Unterschiedliche Untersuchungen und Veröffentlichungen des Robert Koch-Instituts sprechen außerdem gegen die „Corona-Partys“ als treibender Faktor der steigenden Zahl an Infektionen. Demnach gäbe es die meisten Ausbrüche in Privathaushalten, die Zahl der infizierten Personen sei hier jedoch meist gering. Anders in Pflegeheimen, Unterkünften für Geflüchtete und am Arbeitsplatz, wo sich oft ein größerer Personenkreis ansteckt. Unter anderem bei Gottesdiensten, die in den letzten Monaten weitestgehend erlaubt waren, kam es oft zu großen Corona-Ausbrüchen. Auch die Ereignisse im Tönnies-Schlachtbetrieb in Rheda-Wiedenbrück sollten nicht vergessen werden, welche nur ein Beispiel für die Auswirkungen von fehlendem Arbeitnehmerschutz auf die Verbreitung des Virus waren.
Dann gibt es noch die Schulen. Wo kann man sich besser anstecken, als an dem Ort, wo man dazu gezwungen ist sich über längere Zeiträume mit dutzenden Personen in einem Raum aufzuhalten? Wenn bei positiven Tests nur die Sitznachbar:innen in Quarantäne geschickt werden und „Fenster auf (wenn man sie überhaupt öffnen kann)!“ das höchste aller Gefühle ist, was Schutzmaßnahmen angeht, nachdem man Monate Zeit hatte sich auf die Wiedereröffnung der Schulen vorzubereiten, kann es kein Wunder sein, dass die Eindämmung des Virus nur unnötig erschwert wird. Eine Umsetzung der verschiedenen Konzepte für sicheren Unterricht, die sowohl die Aufteilung von Klassen als auch Online-Lehre beinhalten, lässt weiterhin auf sich warten. An all diesen Orten besteht noch Raum zur Besserung. Statt diese in Angriff zu nehmen, ist es jedoch einfacher, das diffuse Problem der „Corona-Partys“ immer und immer zu beschwören. Denn kaum ein konstruktiver Lösungsansatz, der über immer höhere Strafen und mehr Polizeieinsätze hinausgeht, scheint hier zu existieren.
:Jan-Krischan Spohr
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