Kommentar. Mitten in der Pandemie steht Weihnachten vor der Tür. Das will man sich trotz weiterhin hohen Infektionszahlen nicht nehmen lassen.
In Deutschland sind seit der Weimarer Reichsverfassung von 1919 Staat und Kirche offiziell voneinander getrennt. Dies beinhaltet unter anderem die allgemeine Religionsfreiheit sowie die Selbstbestimmung aller Religionsgemeinschaften, was die eigene Religion dennoch nicht zur Privatsache gemacht hat, sondern lediglich zu einer öffentlichen Angelegenheit, die nicht vom Staat verwaltet wird. Trotzdem hängen in vielen Klassenzimmern noch Kreuze an der Wand und den Schüler:innen wird für den Religionsunterricht höchstens nur die Wahl zwischen katholisch, evangelisch oder einer Alternative wie Philosophie oder Ethik gegeben.
Dieser Umgang liegt nicht zuletzt daran, dass zurzeit mehr als die Hälfte der Einwohner:innen Deutschlands zumindest auf dem Papier dem Christentum angehört. Dabei ist natürlich fraglich, wie viele der über 40 Millionen Christ:innen hierzulande tatsächlich ihre Religion ausüben oder nur aus Bequemlichkeit oder beruflichen Gründen nicht aus der Kirche ausgetreten sind. Jedenfalls wird Deutschland seit 2005 von der Christlich-Demokratischen beziehungsweise -Sozialen Union regiert, bei der das „christlich“ zwar natürlich schon lange nur noch Dekoration ist, aber bei einer gealterten Wähler:innenschaft immer noch entscheidende Wirkung besitzt. Genau für diese ältere weißere Bevölkerungsgruppe machen CDU/CSU, insbesondere während der Pandemie auch Politik, denn in der deutschen Rentner:innenrepublik, in der 20 Prozent der Bevölkerung älter als 66 Jahr ist, haben die gehobenen Altersgruppen immer noch einen immens hohen Stimmenanteil. Auch deshalb wird in der Pandemie immer wieder an das Verantwortungsbewusstsein der Jugend gegenüber den gefährdeten Alten appelliert, was grade nach der Ignoranz eben dieser älteren Generationen in Bezug auf den Klimawandel einer gewissen Ironie nicht entbehrt. Wer sich traut, sich über die geschlossenen Clubs und Bars zu empören, gilt schnell als egoistisch und unsolidarisch. Als im April der islamische Fastenmonat Ramadan begann, gab es keine Sonderregelungen für die mehr als vier Millionen Muslim:innen in Deutschland. Damit das christliche Weihnachtsfest gefeiert werden kann, ging man zunächst in den Lockdown-Lite, dessen Maßnahmen für den Infektionsschutz nicht allzu sinnvoll waren, da vor allem die öffentlichen Bereiche bestraft wurden, die ein funktionierendes Hygienekonzept ausgearbeitet hatten.
Nun wurde für den Dezember verkündet, dass die Einschränkungen verlängert werden, für die Woche von Weihnachten bis Neujahr aber stark gelockert werden. „Weihnachten wollen die Menschen zusammen mit ihrer Familie feiern, das ist nicht nur für die älteren Menschen sehr wichtig“, behauptete Ralph Brinkhaus, Fraktionschef der Union im Bundestag. Bei dieser Aussage fragt man sich, wer eigentlich „die Menschen“ sein sollen, die Weihnachten so dringend feiern wollen. Bestimmt interessiert sich nicht ausschließlich die weiße christliche Familie für Weihnachten, dennoch ist diese Verallgemeinerung der Bedeutung eines religiösen Festes bedenklich. Es entspricht den Forderungen, die auch schon während des ersten Lockdowns laut wurden: der Besinnung auf die Kernfamilie. Dafür nimmt man auch in Kauf, dass die leicht gebremsten Infektionszahlen wieder rapide ansteigen könnten. Den Unmut derer, die durch das Fest deshalb wahrscheinlich mit späteren Verschärfungen der Restriktionen in Mitleidenschaft gezogen werden, ist deshalb durchaus berechtigt.
:Henry Klur
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