Kommentar. Der Verdacht, BAMF-Mitarbeiter:innen hätten einseitig für Asylsuchende entschieden, ist längst vom Tisch. Nun geraten die Ermittler:innen in den Fokus.
Die sogenannte BAMF-Affäre geht in die nächste Runde. 2018 wurde das Gerücht verbreitet, die Bremer Außenstelle des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF) habe bei der Prüfung von Asylanträgen einseitig zugunsten von Geflüchteten entschieden, bei denen es sich größtenteils um Ezid:innen (Anm.: Die ezidische Gemeinde bevorzugt die Schreibweise ohne „j“ oder „y“) gehandelt haben soll. Um 1.200 Fälle soll es sich gehandelt haben, von „Asylmissbrauch“ und einem „Skandal“ war die Rede. Vorne mit dabei: die BILD und Innenminister Seehofer (CSU), der sich damals gegen die frischgebackene Bundestagspartei AfD profilieren wollte. So setzte er damals eine große Ermittlungskommission ein, feuerte die BAMF-Präsidentin Jutta Cordt und ersetzte sie durch den Antiflüchtlings-Hardliner Hans-Eckhard Sommer (CSU), während die Medien die Bremer Amtsleiterin Ulrike B. ins Rampenlicht zerrten, die sich massiven Beschimpfungen und Verleumdungen ausgesetzt sah.
Im September 2019 wurde dann klar: Es gab keinen Bremer BAMF-Skandal. Von 121 angezeigten Straftaten ließ das Gericht 99 gar nicht erst zu und von 1.200 Verfahren werden nur rund 150 neu verhandelt. Die eigentliche Affäre hatte sich also in aller Öffentlichkeit unter dem Druck rechter Politiker:innen und Medien ereignet. Die knapp 12 Prozent infrage stehender positiver Asylbescheide in Bremen stehen einer Quote von 74 Prozent abgelehnter Anträge auf Bundesebene gegenüber, die jedes Jahr angefochten werden. Von diesen werden wiederum nur 36 Prozent von den Gerichten voll umfänglich bestätigt. Mehr als 11 Prozent aller Ablehnungen werden dagegen zugunsten einer Anerkennung oder Duldung gekippt, zuletzt lag die Zahl laut ProAsyl sogar doppelt so hoch. In realen Zahlen geht es damit 10.000 und mehr Menschen jährlich, die unrechtmäßigerweise ausgewiesen beziehungsweise abgeschoben werden würden, wenn sie nicht dagegen ankämpfen. Das ist der erste eigentliche Skandal! Der zweite besteht in der Art, wie im Fall Bremen medial und politisch aufgrund von Vermutungen, Verleumdungen und Lügen eine Affäre erdichtet worden ist, die Stimmung gegen Geflüchtete, ihre Unterstützer:innen und Beamt:innen, die keine Ablehnungsquoten erfüllten, angeheizt und die berufliche Existenz von einzelnen Angestellten geopfert wurde. Der dritte Skandal besteht darin, dass heute niemand der damals Verantwortlichen dazu Stellung nehmen will: Sowohl Seehofer als auch die deutschen Leitmedien tun so, als hätten sie mit dem ganzen Fall nichts zu tun gehabt.
Und weil offenbar aller schlechten Dinge drei sind, geht diese Affäre nun auch noch in die dritte Runde: Nachdem zunächst mit viel Tamtam Behauptungen verbreitet wurden, die sich nach einem Jahr als Fake News herausstellten, steht nun ein weiterer Vorwurf im Raum. Ein anonymes Schreiben eines Mitglieds der damaligen Kommission spricht von einseitigen Ermittlungen gegen die BAMF-Stelle. So habe man entlastende Informationen bewusst nicht beachtet. Als trotzdem klar wurde, dass die erhobenen Vorwürfe größtenteils nicht haltbar seien, habe sich „Verzweiflung“ breit gemacht, heißt es. Deshalb wären in der Folge auch Rechtsanwält:innen ins Visier geraten, insbesondere türkeistämmige. Bezeichnend ist, dass der Brief bereits im Sommer einging und erst im November bekannt wurde. Es wird wieder einmal deutlich, in welchen Fällen die Öffentlichkeit geradezu mit Informationen überflutet wird, und wann geschwiegen wird, was das Zeug hält.
:Leon Wystrychowski
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