Migrationsgesellschaft . Laut einer aktuellen Erhebung nimmt in NRW die Zahl der Schüler:innen mit Migrationshintergrund zu. Dabei zeigen sich zugleich soziale Missverhältnisse.
„Mehr Schüler mit Migrationshintergrund – Herausforderung für die Integration“, überschreibt das Westfalen-Blatt seinen Artikel, den es gleich mit einem Foto einer Kopftuchträgerin abrundet. „Anteil am Gymnasium am geringsten – Immer mehr Schüler mit Migrationshintergrund“, titelt die Allgemeine Zeitung. Anlass ist eine am 14. Oktober veröffentlichte Erhebung des Statistischen Landesamts NRW. Dieser zufolge hatten im vergangenen Schuljahr 40,9 Prozent aller Schüler:innen, die in Nordrhein-Westfalen allgemeinbildende Schulen besuchten, eine Zuwanderungsgeschichte. Das sind knapp anderthalb Prozentpunkte mehr als im Jahr zuvor und sogar 4,2 als noch 2016/17. Mehr als ein Drittel dieser Schüler:innen geht noch zur Grundschule, weshalb der Trend weiter zulegen dürfte. Als Migrant:in gilt hier, wer selbst im Ausland geboren ist oder mindestens einen Elternteil hat, auf den dies zutrifft, sowie alle, in deren Familie nicht primär Deutsch gesprochen wird.
Mit an der Spitze finden sich Duisburg und Gelsenkirchen mit 58,5 beziehungsweise 58,3 Prozent. Auch Bochum liegt mit 44,7 Prozent über dem Durchschnitt. Auffällig ist, dass hier die Zahl der Schüler:innen insgesamt in den letzten Jahren abnahm, während sowohl die Zahl der Grundschüler:innen als auch der Heranwachsenden mit Migrationshintergrund stieg. Das dürfte an dreierlei liegen: Erstens sank die Bevölkerungszahl im Ruhrgebiet bis 2015 stetig. Zweitens wurden in den letzten Jahren viele syrische Kinder eingeschult. Und drittens bekommen migrantische Familien im Schnitt noch immer mehr Kinder. Dieses Phänomen, dass Gesellschaftsgruppen, die stärker von Armut betroffen sind, tendenziell kinderreicher sind, lässt sich in jeder Gesellschaft beobachten und hängt damit zusammen, dass der Nachwuchs als Versicherung gegen Altersarmut gilt.
Dass Migrant:innen stärker von Armut und Diskriminierung bei Ausbildung und Jobsuche betroffen sind, spiegelt sich auch in der neuen Statistik: An den Hauptschulen stellen sie NRW-weit mehr als 60, an den Realschulen 49 Prozent, Tendenz steigend. Das gilt auch für Bochum: 48 Prozent an den Haupt-, 61 an den Realschulen. Wer an diese Schulen kommt, hat kaum noch eine Chance auf einen höheren Abschluss: Weniger als 0,6 Prozent aller Haupt- und Realschüler:innen in NRW schaffen den Wechsel an eine höhere Schule. Zu dieser strukturellen Undurchlässigkeit kommt ein weiteres Problem, das im Kern des mehrgliedrigen Schulsystems liegt und das Pädagog:innen, Wissenschaftler:innen und aktive Schüler:innen seit Jahren kritisieren: die Tatsache, dass bereits im Grundschulalter über das berufliche und damit soziale Schicksal der Kinder entschieden wird.
Büşra hat es selbst erlebt. Sie studiert seit 2018 an der RUB, zuvor gehörte sie zu den wenigen, die es geschafft haben, von der Realschule zum Gymnasium zu wechseln. „Meine Grundschullehrerin wollte mir trotz guter Noten eine Sonderschulempfehlung auf’s Auge drücken.“ Nur weil ihre Eltern sich einsetzten, durfte sie schließlich an die Realschule. „Gymnasium haben die sich gar nicht mehr getraut.“ Auch an der Realschule empfahlen ihr die Lehrer:innen trotz eines Notenschnitts von 1,5 lieber eine Erzieher:innenausbildung zu machen, statt Abi und Lehramtstudium. „Bei meinen deutschen Mitschülern, die auch auf’s Gymnasium wollten, haben die das nicht gesagt. Und die hatten deutlich schlechtere Noten als ich“, schließt sie mit vielsagendem Blick.
:Leon Wystrychowski
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