Bild: RUB-Wissenschaftler von Innenministerium einberufen Bild: Privat

Interview. Der RUB-Sozialwissenschaftler Prof. Dr. Karim Fereidooni wurde vor kurzem von der Bundesregierung in die Kabinettskommission zur Bekämpfung von Rechtsextremismus und Rassismus sowie von dem Bundesinnenministerium in den Unabhängigen Expertenkreis Muslimfeindlichkeit berufen. In seiner wissenschaftlichen Arbeit beschäftigt er sich unter anderem mit rassistischen Strukturen in Bildungsinstitutionen. Wir haben mit ihm über die Kommissions- und Expertenkreis-Arbeit, Lösungsansätze und rassistische Strukturen in Schulen und Universitäten gesprochen.

bsz: Herr Fereidooni, wie unterscheidet sich die Arbeit zwischen der Kabinettskommission gegen Rassismus und Rechtsextremismus und dem Unabhängigen Expertenkreis Muslimfeindlichkeit? 

Fereidooni: Bei der Kabinettskommission zur Bekämpfung von Rechtsextremismus und Rassismus geht es darum, umfassende Maßnahmen zu entwickeln für alle unterschiedlichen Rassismen. Also sowohl antimuslimischer Rassismus als auch Antisemitismus als auch Anti-Schwarzen-Rassismus als auch Gadjé-Rassismus, also Rassismus gegen Sinti und Roma oder diejenigen, die dafür gehalten werden. Ich würde sagen, dass diese Kommission sehr umfassend ist. Beim Unabhängigen Expertenkreis Muslimfeindlichkeit geht es alleinig um Antimuslimischen Rassismus. Also, wie kommt Antimuslimischer Rassismus zustande, welche Funktionen hat er für die Gesellschaft und auch Institutionen und wie kann muslimisches Leben in Deutschland geschützt werden?  

 

Bis zur dritten Sitzung des Kabinettsausschusses soll ein Maßnahmekatalog entwickelt werden. Wird es bei dem Expertenkreis auch einen Maßnahmenkatalog geben?  

Beim Unabhängigen Expertenkreis Muslimfeindlichkeit ist es gewollt, dass wir nach zwei Jahren Arbeit einen Forderungskatalog aufstellen. Eine Forderung könnte zum Beispiel sein – und das hat das Innenministerium selber ins Spiel gebracht – Beauftragte im Bund und den einzelnen Ländern einzusetzen, die sich mit Antimuslimischem Rassismus beschäftigen. Also ein Pendant zu den Beauftragten gegen Antisemitismus. 

 

Auf welche Arten und Verbreitungsformen von Rassismus- und Rechtsextremismusbekämpfung werden Sie sich fokussieren? 

Erst einmal geht es darum, Rassismus von Rechtsextremismus zu unterscheiden. Rassismus kommt auch in der Mitte der Gesellschaft vor und wird ebenfalls in der Mitte der Gesellschaft reproduziert. Selbst diejenigen, die sich nicht für rassistisch halten, reproduzieren Rassismus. Rassismus ist mittlerweile in der gesellschaftlichen Mitte salonfähig geworden. Rechtsextremismus hingegen ist eine extremistische Form von Rassismus, die beispielsweise rechtsradikale Personen anbelangt oder auch den Flügel der AfD. Mir ist erst einmal wichtig, zu unterscheiden, dass die Maßnahmen gegen Rassismus eigentlich die gesamte Gesellschaft betreffen. Also, was könnte das sein? Es könnte beispielsweise rassismuskritische Schulungen für Verwaltungsmitarbeiter:innen, Polizist:innen, Lehrer:innen und auch diejenigen, die im Justizsystem oder in der Bundeswehr angesiedelt sind, bedeuten. Wenn ich über Rassismus und Rechtsextremismus spreche, rede ich zum einen natürlich davon, bestimmte Menschen wie Schwarze Menschen, Menschen of Color, jüdische Menschen, muslimische Menschen oder die, die dafür gehalten werden und auch Sinti und Roma vor rassistischen Gewalttaten zu schützen und ihnen zu ermöglichen, ihre Partizipationsrechte einzufordern. Wenn wir über Rassismus und Rechtsextremismus sprechen, dann müssen wir auch über weiße Menschen sprechen. Also nicht-muslimische Menschen, nicht-jüdische Menschen, nicht-Sinti-und-Roma, nicht-Schwarze Menschen. Denn Maßnahmen, die darauf angelegt sind, weiße Menschen in Bezug auf Rassismus zu sensibilisieren, sind genauso wichtig. Rassismus funktioniert nur, weil weiße Menschen Rassismus internalisiert haben. Es geht darum, die Fantasien in den Köpfen weißer Menschen zu thematisieren. Wir müssen über Fantasien sprechen, über Bilder sprechen, über Imagination sprechen von weißen Menschen gegenüber Schwarzen Menschen oder Menschen of Color. Dann müssen wir auch sinnvolle Maßnahmen ergreifen, um rassismuskritische Maßnahmen in die Institutionen hineinzutragen. Das ist der erste Punkt. Der zweite Punkt ist, dass wir unabhängige Beschwerdestellen zum Beispiel an Schulen brauchen. Wenn es heutzutage zu rassistischen Vorfällen an Schulen kommt, dann ist es oftmals so, dass viele Lehrkräfte nicht wissen, wie sie damit umgehen sollen. Manchmal wird es unter den Teppich gekehrt, manchmal wird es sinnvoll gelöst. Häufig wird aber gar nicht darüber gesprochen und es finden Einzelfalllösungen statt. Die sind aber schwierig. Ich würde sagen, wir brauchen unabhängige Beschwerdestellen, die am Schulministerium angesiedelt sind und wir brauchen ein formales Verfahren des Beschwerdemanagements. Wir brauchen Rechtssicherheit. Daran fehlt es noch.  

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In einem früheren Interview mit uns (:bsz 1206) haben Sie gesagt, dass Universitäten Diversität häufig nur in Bezug auf das Geschlecht fokussieren. Im Zuge der George-Floyd-Proteste hat man von vielen Universitäten gelesen, dass sie eine breitere Diversitätsinitiative anstoßen wollen. Haben Sie seitdem Veränderungen erkannt?  

Ich glaube, dass viele Universitäten zarte Ansätze etablieren wollen. Viele machen sich gerade auf den Weg. Eine Maßnahme könnte sein, sich anzuschauen: Welche Studierendengruppen, welche Lehrendengruppen sind bei uns unterrepräsentiert? Haben wir Schwarze Menschen in der Fakultät? Haben wir Menschen of Color? Wenn nicht, woran liegt das? Haben wir genug hilfswissenschaftliche Mitarbeiter:innen beschäftigt, die sich selbst als Schwarze Menschen oder Menschen of Color betrachten? Denn diese studentischen Jobs sind der Einstieg in die wissenschaftliche Welt. Gibt es beispielsweise Mentor:innenprogramme für bestimmte Gruppen, die sich freiwillig melden und daran teilnehmen können? Wenn nicht, woran liegt das und welche strukturellen Veränderungen müssen wir als Universität durchführen, damit wir attraktiver sind für bestimmte Menschen, die nicht repräsentiert sind? 

 

Liegt ein Problem an rassistischen Strukturen in den universitären Einstellungsverfahren und Berufungskommissionen?  

Was sicherlich der Fall ist – und da habe ich auch meine Erfahrungen gemacht in unterschiedlichen Berufungskommissionen – ist, dass die Analysekategorie Rassismuskritik bislang noch nicht salonfähig in vielen Universitäten ist. An einigen Universitäten habe ich gemerkt, man hält einen halbstündigen Vortrag über Rassismuskritik als Analysekategorie, liefert auch empirische Daten und dann sagt einem ein Kommissionsmitglied: „Ja, was wollen sie uns denn unterstellen? Wir sind doch keine Nazis.“ Diskussionen über Rassismuskritik als wissenschaftliche Analysekategorie sind nicht überall in Deutschland anerkannt. Ich glaube, dass viele wissenschaftliche Positionen nicht für vollwertig genommen werden, poststrukturalistische Positionen beispielsweise. Ich glaube es gibt eine Verengung von wissenschaftlichen Konzeptionierungen. Daran scheitern Berufungen von beispielsweise Rassismusforscher:innen, weil sich Kommissionsmitglieder persönlich angegriffen fühlen. Da würde ich sagen: Haben sie den Mut als Kommission auch rassismuskritische Konzeptionen zuzulassen und das Feld nicht zu verengen. 

 
Ein Teil der Debatten ist derzeit die Beurteilung rassistischer und rechtsextremer Strukturen bei der Polizei. Herr Seehofer hat sich zuletzt dagegen gewehrt, eine Rassismusstudie innerhalb der Polizei anzustoßen. Werden Sie bei ihrer Kommissionsarbeit auch die Polizei begutachten? 

Letztlich muss Innenminister Seehofer darüber entscheiden. Ich werde das auf jeden Fall einbringen. Wir brauchen eine Racial-Profiling Studie in der Polizei. Wir brauchen eine Studie, die hoffentlich auch repräsentativ ist, über rassistische Einstellungen innerhalb der Polizei und dafür brauchen wir finanzielle Ressourcen. Ich habe zusammen mit meiner Kollegin Kathrin Schroth eine Studie zu rassismusrelevanten Einstellungsmustern geschrieben. Dieser Artikel wird in einigen Monaten erscheinen und weist auch darauf hin, dass wir eine größere Studie über rassistische Vorstellungen von Polizist:innen durchführen müssen. Wir müssen über Rassismus bei der Polizei sprechen, nicht um ein Polizeibashing zu betreiben, sondern um die Polizeiarbeit besser zu machen.   

In einem Gespräch mit dem Deutschlandfunk sagte Ibrahim Arslan, ein Überlebender der Brandanschläge von 1992 in Mölln, dass zu häufig über die Täter:innen rassistischer Gewalt und zu selten mit Angehörigen und Opfern gesprochen wird. Wie sind Ihre Gedanken dazu? 
 
Ich finde das ganz, ganz wichtig. Und zwar ist es wichtig, weil muslimischen Menschen oder Schwarzen Menschen, ihr Mensch-Sein abgesprochen werden, um sie im zweiten Schritt dann vernichten zu können. Wir müssen überlegen, wie wir es schaffen, in didaktischen Materialien diesen Opfern des Rassismus eine Stimme zu verleihen. Sie als ganz normale Bürger:innen dieses Landes darzustellen und nicht als Fremde. Beide Sachen sind wichtig: Menschen erst einmal zu schützen vor rassistischen Taten und dann zweitens zu analysieren, wie es zu diesen rassistischen Taten kommt.  

Das Gespräch führte :Stefan Moll 

 

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