Kommentar. Bei der New York Times hat sich eine tiefgreifende Kontroverse über einen Kommentar losgetreten, die zeigt, weshalb wir uns weniger mit Metadebatten beschäftigen sollten.
Ich muss mich entschuldigen. Dieser Kommentar vergeht sich zu erheblichen Teilen in den Fehlern, die er selbst ankreidet. Aber da kommen wir wohl nicht drum herum. Schlage sie in ihrem eigenen Spiel, lautet wohl die Devise. Also, worum geht es? Ursprung war ein Kommentar des republikanischen Senators Tom Cotton in der New York Times. Darin ruft der Senator aus Arkansas dazu auf, das Militär zu senden, um Ausschreitungen bei derzeit stattfindenden Demonstrationen zu kontrollieren. Der Kommentar war eine erweiterte und verharmloste Form eines vorangegangen Tweets, in dem Cotton dazu auffordert, Randalierer:innen durch das Militär „no quarter“ – zu deutsch: keine Nachsicht – zu gewähren. Die Implikation war klar: das Militär soll keinen Skrupel haben, auf Ausschreitende schießen. Im Nachgang gab es heftige Kritik an der Entscheidung der NYT, den Beitrag zu veröffentlichen. Mittlerweile haben sich die Herausgeber:innen für die Veröffentlichung entschuldigt und Fehler beim Bearbeitungsprozess eingestanden. Die Episode hat dazu geführt, dass James Bennet, der leitende Redakteur der Meinungsredaktion, die bei der NYT personell sowie organisatorisch von der Nachrichtenredaktion getrennt ist, seine Kündigung einreichte.
Die Kritik, dass Zeitungen und andere Medien faschistoide Haltungen durch ihre Megaphon-Kraft nicht verstärken sollen, selbst wenn sie von einer Person stammt, die eine wichtige gesellschaftliche Funktion trägt, ist notwendig. Allerdings begeben wir uns zu häufig auf Meta-Spielplätze und sprechen über Entscheidungen von Medien, über ihre Rolle in einer demokratischen Gesellschaft, über Sagbares und nicht-Sagbares, fordern Rechtfertigungen, Kündigungen, Korrekturen. Dabei wird gerne die inhaltliche Ebene vernachlässigt. Denn was unter der NYT-Kontroverse vielerorts untergegangen ist: Ein US-Senator hat dazu aufgerufen, Protestierenden, die sich gegen systematischen Rassismus und die Ermordung Schwarzer Menschen erheben, mit tödlicher Gewalt zu antworten! Der Diskurs war jedoch durch Medienkritik, nicht durch Machtkritik bestimmt.
Medien wie die New York Times oder auch deutsche Polit-Talkshows machen den Fehler, reflexiv dem Streit einen Raum zu geben. Solange Meinungen im Schlachtfeld oder Marktplatz der Ideen gegeneinander ausgetauscht werden – je nachdem auf welche Metapher der:die geneigte Rezipient:in anspringt – ist die eigene Verantwortung erledigt und die Funktion eines freiheitlichen, demokratischen Diskurses gesichert. So zumindest die Theorie. In der Realität liefert es rechtsradikalen Akteur:innen die fortlaufende Normalisierung, die sie sich wünschen. Das wissen eben genau diejenigen von uns, die sich an scharfer Medienkritik üben und mit vollstem Recht diejenigen Medien zur Verantwortung ziehen, die in ihrem demokratischen Übereifer der Demokratie schaden.
Die Gefahr bei einer Priorisierung dieser Kritik liegt jedoch darin, ein unübersichtliches Schlachtfeld zu schaffen – um bei diesem Bild zu bleiben – auf dem der Hauptkampf an der unwichtigeren Front gekämpft wird. Das wissen nicht zuletzt die Gaulands, die Meuthens und die Tom Cottons unserer Demokratien. Sie nutzen diese ernsthaften Auseinandersetzungen aus, um mit vollem Opportunismus Zwietracht zu säen und von der entstehenden Uneinigkeit zu profitieren. Und so üben auch wir uns quasi rituell in Erzürnung. Alle kennen die Spieler:innen, alle spielen mit. Doch die Strategie muss geändert werden.
:Stefan Moll
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