Meinung. „Corona-Semester“, „Online-Semester“ oder „Digitalsemester“ werden für alle Beteiligten an der Uni das Unwort des Jahres sein. Wir haben Euch gefragt, wie Ihr die ersten Wochen im neuen Hochschulhalbjahr empfindet.
Ceyda, Erziehungswissenschaften, Zweites Semester
„Es ist wirklich gewöhnungsbedürftig, alles von Zuhause machen zu müssen. Und das sorgt dafür, dass meine Lust zum freiwilligen Lernen und Mitmachen der Seminareinheiten sinkt. Man sitzt immer am selben Ort und macht quasi immer dasselbe. Gerade durch die Zeit, mit der Kontaktsperre und das ständige Sitzen vor dem Laptop bin ich momentan von den Aufgaben wesentlich schneller genervt und überfordert. Das, was mir auf jeden Fall auffällt, ist, dass wir wesentlich mehr Abgaben haben. Vor allem in Vorlesungen, die am Ende mit einer Klausur benotet werden, da merke ich eine immense Diskrepanz. Klarer Pluspunkt: Ich kann mir die Zeit selber einteilen, wann ich ein Seminar, eine Übung oder Vorlesung nacharbeite. Dennoch ist es momentan viel zu viel, um jedem Kurs gerecht zu werden. Zudem werden vermehrt Onlinegruppenarbeiten erwartet und die sind aufgrund der unterschiedlichen technischen Infrastruktur der Studierenden sehr ermüdend und unübersichtlich. Ich glaube, die Uni hat sich Mühe gegeben, es abwechslungsreich zu gestalten, trotz allem erscheint es mir wesentlich stressiger als ein normales Semester.“
Mohamed, Politikwissenschaften, Master
„Der Unterschied zu einem regulären Semester ist immens. Das ist vor allem bei Gruppenarbeiten spürbar. Sich da online zu orientieren und eine:n Präsentationspartner:in zu finden, gestaltet sich anstrengend, wenn die Dozent:innen die Gruppen nicht vorgeben. Auch die Kommunikation gestaltet sich langwieriger als im direkten Austausch, da die Kommiliton:innen oftmals auch in anderen Seminaren eingespannt sind. Auch die aktive Mitarbeit hat sich verändert, sodass der Workload um einiges gestiegen ist, um zu beweisen, dass man die Texte gelesen hat und das meist nur für den Teilnahmeschein. Mir erschließt sich der Mehrwert solcher Prozesse nicht. Man diskutiert nicht mehr über das Gelesene und arbeitet es nur noch nach Schema F ab. In meinem Studienfach zumindest. Es ist für mich wie eine To-do-Liste, die ich abarbeite.
Dennoch finde ich nicht alles schlecht! Es ist alles flexibler und da ich Pendler bin, muss ich auch nicht täglich zur Uni fahren und spare Zeit, die ich wiederum an den Workload geben kann. Und auch einige Vorlesungen sind nun als Video- oder Audiodatei verfügbar, welche man ins nächste Semester gerne mitnehmen kann.“
Merve, Architektur, Master
„Man merkt auf jeden Fall, dass die Verantwortlichen sich zusammengesetzt und viele Gedanken über die Form und Umsetzung dieses Semesters gemacht haben. Und ich finde, es ist theoretisch auch ein plausibles Konzept entstanden. Jedoch ist es ein Konstrukt, das meiner Meinung nach schwer in die Praxis umzusetzen ist.
Ich habe das Gefühl, auf lange Sicht nicht mithalten zu können und das höre ich auch von meinen Kommiliton:innen. Bei meiner aktuellen Kursanzahl bekomme ich jede Woche umfangreiche Aufgaben in Form von Testaten, Levelspielen sowie Essays gestellt. Einige Dozent:innen haben uns Kurse gänzlich dem Selbststudium überlassen. Sie laden die zu bearbeitenden Einheiten und einen Seminarplan Anfang des Semesters ohne Erläuterung hoch und das wirkte auf den ersten Blick sehr erschlagend. Zumal spielt sich momentan fast alles in den eigenen vier Wänden ab. Man schläft, arbeitet non-stop vor dem Laptop und verbringt seine „Freizeit“ dort, die durch den Workload viel zu kurz kommt, um abzuschalten.“
:Die Gespräche führte Abena Appiah
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