Theater. Seit 2018 ist Mercy Dorcas Otieno Schauspielerin im Ensemble des Schauspielhauses und füllt Rollen in Stücken wie „Die unglaubliche Geschichte vom kleinen Roboterjungen“, „Hamlet“ und „Plattform/Unterwerfung“ mit Leben. Mit uns hat sie über ihre Heimaten gesprochen und wie es mit der Gleichstellung im Theater steht.
:bsz: Mercy, du bist seit 2018 in Bochum. Wie nimmst du die Stadt wahr?
Mercy Dorcas Otieno: Bochum sagte mir zunächst gar nichts. Ich fuhr hierher und es war Winter. Es war so grau, so düster. Es war ein kleiner Kulturschock für mich, weil ich vorher in Wien gewohnt habe. Dann komm ich in die Jahrhunderthalle und treffe Johan Simons [Anm. d. Red.: Intendant des Schauspielhauses] und die gesamte Dramaturgie unddachte: „Diese Leute hören wirklich mit dem Herzen zu.“ Es geht nicht darum, dass sie irgendwelche Masken aufsetzen. Ich dachte, das ist eine Art und Weise mit der ich hier gerne arbeiten würde.
Auch, wie ich empfangen wurde: Ich war zu spät. Ich habe am Sonntag in Düsseldorf im Hotel geschlafen. Montag morgens hatte ich ein Vorstellungsgespräch im Schauspielhaus Düsseldorf, dann fuhr ich weiter nach Bochum. Ich dachte es wäre wie in Österreich – du fährst los und wirst pünktlich vor Ort sein und man muss nicht darüber nachdenken, dass eventuell der Zug nicht kommt. Dann kamen wir, in Duisburg glaube ich, nicht weiter, aber ich hatte um 12 Uhr das Vorsprechen. Eine Frau sagte mir ich muss über Gelsenkirchen fahren. Ich kam dann in Gelsenkirchen an und habe ein Taxi genommen. Wir waren so um 12:03 endlich an der Jahrhunderthalle und ich war extrem emotional. Ich sagte, ich habe jetzt ein Interview und der Taxifahrer hat gesagt: „Das Schwierigste haben wir schon geschafft. Sie gehen jetzt mal da rein und machen, was sie am Besten können.“ Das hat mich runtergefahren von 150 auf 2. Ich ging raus und traf Cathrin Rose, eine unserer Dramaturginnen. Das erste von ihr war eine warme Umarmung. Ich dachte, wow, das fühlt sich gut an. Dann hab ich vorgesprochen und the rest is history.
Ich bin natürlich mit einem schweren Herz umgezogen weil ich in Österreich seit dreizehn oder vierzehn Jahren lebte und dort meine Freunde hatte. Ich war nicht sicher, was ich eigentlich mache. Dass ich das alles aufgebe und ein neues Leben anfange in einer Stadt, in der ich das Ensemble nicht kenne. Es war alles fremd. Und natürlich, ich kenne das Gefühl der Fremdheit, das begleitet mich seit ich entschieden habe, in Europa zu leben. Aber ich wusste nicht, dass es so krass schwerer wird als sonst. Früher konnte ich mich sehr schnell anpassen. Ich merke, je älter ich werde, umso mehr Kraft brauche ich dafür.
Hast du diese äußere Kälte und innere Wärme ähnlich in deiner Zeit in Wien und in Graz wahrgenommen?
Graz wird immer mein Zuhause sein. Ich würde sagen, in der Steiermark sind die Leute a bissl lässiger. Ein wenig zurückgelehnter. Ich hatte immer eine positive Energie. Egal welche Negativität mir entgegenschlägt, ich überstrahle sie mit meiner positiven Einstellung, so dass Negatives keinen Platz hat. Das ist vielleicht auch der Grund, weshalb ich nicht so viele harte Konfrontationen erleben musste. Egal in welcher Situation, ich habe immer geschaut: Was zieh ich dabei Positives heraus?
Ich hatte einige Freunde in einer Frauengruppe, die ich geleitet habe. Sie hieß „Pro-Women“. Wir haben uns jeden Mittwoch getroffen und über die Situation afrikanischer Frauen gesprochen. Wie es ihnen geht, was sie erleben und so weiter. Es gab manche, die Situationen erlebt haben, von denen ich mir gar nicht hätte vorstellen können, dass man so einen Hass auf jemanden nur aufgrund der Hautfarbe hat. Ich hatte eine total andere Geschichte. Ich bin nicht zuerst nach Graz gekommen, sondern nach Kapfenstein. Ein kleines Dorf mit 2.500 Menschen, die in ihrem Ort noch nie eine Afrikanerin gesehen haben. Natürlich haben die Leute geschaut. Ich sah das für mich als Möglichkeit, ein Gespräch anzufangen und ihnen meine Welt vorzustellen, wie ich lebe und wie es ist. Über die Jahre habe ich gelernt, mit dieser Gemeinde ins Gespräch zu kommen und so ein Teil von ihr zu werden. Auch weil die Leute in einem so kleinen Ort meinen Werdegang mitverfolgt haben. Vom Au Pair-Mädchen zum Studieren bis zum Schauspiel. Jedesmal wenn ich jetzt zurück gehe, sind sie sehr stolz und sagen: „Du bist eine von uns.“
Derzeit ist der Black History Month, in dem Schwarze Menschen und Geschichte anerkennt und sichtbar gemacht werden sollen. Hast du Held*innen, die dir wichtig sind oder die dir einen Weg bereitet haben?
Ja, natürlich. Das ist meine Großmutter. Sie heißt Dorcas, deswegen heiße ich auch so. Sie ist eine Frau, die Bildung liebt. In dieser kleinen Dorfschule, in die ich gegangen bin, war sie die Vorsitzende. Das war für mich als Kind super. Ich sah, wie meine Oma diese Schule baute bis alles lief. Und sie hat nicht nur eine Schule gebaut, sondern auch eine High School, damit die Kinder aus der Umgebung nicht unbedingt weit weg in eine Internatsschule gehen müssen. Bildung war für sie gang und gäbe, deswegen ist Bildung auch so wichtig für mich. Zum anderen ist sie eine sehr gläubige Frau. Für sie ist Glaube bis heute etwas Fundamentales. Manchmal ist es leicht, manchmal nicht. Aber sie ist standhaft in dem, was sie tut. Außerdem ist da die Beziehung zwischen ihr und meinem Großvater. Sie waren 70 Jahre zusammen. Mein Großvater ist vor vier Jahren gestorben mit 90. Ich sah jeden Tag, wie sie sich verziehen haben. Wenn sie sich angezofft haben, habe ich abends immer gehört, wie sie zusammensaßen und „Es tut mir Leid“ sagten. Das war für mich eine vorbildliche Einstellung – nicht so viel Ballast im Herzen zu tragen. Sie ist eine Frau, die Woman-Power hat, eine wahnsinnig charismatische Frau. Sie ist mein Held.
Wie nimmst du die Diskussion rund um Themen wie Gleichstellung, Diversität und Rassismus in der Theaterlandschaft war?
Ich kann mich an ein Gespräch vor drei Jahren mit einem Regisseur erinnern: Ich sagte, ich muss jetzt Bewerbungen schreiben, weil ich mit der Uni fertig bin. Er sagte: „Das wird schwer für dich. Keiner wird deine Bewerbungen lesen. Du als Schwarze Frau, mach dich gefasst, dass du nicht so coole Rollen spielen wirst.“ Ich dachte mir, den Schuh zieh ich mir nicht an. This is not my story! Ein Jahr später, als ich wusste, dass ich nach Bochum komme, traf er mich und sagte, er mache jetzt ein Stück und hat eine Rolle für mich. „Hast du schon ein Engagement?“ „Ja, in Bochum.“ „Was? Bochum?!“ Ich sah, wie perplex er war. Ich liebe es, wenn Leute sagen, du schaffst es nicht. Das spornt mich an. Ich nehme diese Geschichte nicht an, sie wird nicht mein Narrativ. Ich hab viele Seiten und Faceten. Man ist vieles, nicht nur eins. Das ist so eine wahnsinnige Bandbreite. Für mich war es ein gutes Gefühl zu sehen, wie er reagiert hat. Weil er bemerkt hat, man kann die Erzählung verändern.
Ich hatte auch totales Glück damit, Johan Simons kennengelernt zu haben. Ich spiele in Bochum tolle Rollen. Vorhin haben wir über den „Roboterjungen“ gesprochen. Wenn ich in den Schulvorstellungen so viele dunkelhäutige Mädchen im Zuschauerraum sehe, die mich als Wissenschaftlerin Doktor Kalu erleben, glaube ich prägt das etwas für sie. Hast du ein Gesicht, oder hast du jemanden, zu dem du Bezug hast, den du verstehen kannst und von dem du sagen kannst; er oder sie sieht wie ich aus? Es ist nicht so, dass ich sage, ich bin ein Vorbild. Nein, höchstens indirekt. Wenn ich vor 800 Menschen stehst und etwas zu sagen habe in meiner Rolle, dann kann das etwa in der Gesellschaft bewirken.
Macht es für dich einen Unterschied, Rollen zu spielen, die traditionell Weiß gedacht sind oder Rollen, die geschrieben sind, um Schwarze Menschen zu repräsentieren?
Ich glaube, ich spiele einfach eine Rolle und denke darüber nicht nach. Letztendlich ist es der Zuschauer, der projiziert, aber ich mach einfach meinen Job. Der Bonuspunkt ist schon, wenn ich so besetzt bin. Dann fülle ich eine Figur mit Leben. Wenn man Rollen so besetzt, ist schon alles da. Für mich ist wichtig, dass die Rollen nicht die selben Mechanismen haben. Dass man mich in unterschiedlichen Rollen ganz anders sieht. Ich glaube, das genügt.
Gibt es denn noch etwas, das du mitgeben möchtest?
Vergebung ist für mich sehr wichtig. Es ist schmerzhaft, wenn man Rassismus erlebt oder Mobbing oder Diskriminierung jeglicher Art. Jegliche Dinge, die man erlebt, die einen verletzten, klein oder groß. Ich glaube die größte Waffe für innerliche Freiheit ist Vergebung. Also Vergebung von dir selbst. Denn Vergebung hat nicht damit zu tun, zu sagen, dass ich jemanden befreie, sondern vor allem mich selbst. Von dem Balast, den ich trage. Wenn man das tut, ist man frei von sich und man kann den Sachen immer neu begegnen.
Das Interview führte :Stefan Moll
Wer Mercy im Theater sehen will, hat im März mehrere Möglichkeiten. Mit der Theaterflat haben RUB-Studenten freien Einlass.
Hamlet:
• Donnerstag, 12. und Freitag, 13. März, 19.30. Schauspielhaus Bochum.
Die unglaubliche Geschichte vom kleinen Roboterjungen
• Montag, 23. März, 11 Uhr. Dienstag, 24, März 9 Uhr. Schauspielhaus Bochum.
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