Kommentar. Polarisierende Kunst ist wertvoll – doch nicht beim Zentrum für Politische Schönheit, das die Asche von KZ-Ermordeten ohne Rücksicht instrumentalisiert.
Es würde den Rahmen dieses Kommentars sprengen, alle zynischen, selbstdarstellerischen, rücksichtslosen Taten des Künstler*innenkollektivs Zentrum für politische Schönheit (ZPS) im Zusammenhang mit ihrer neuesten Aktion aufzurollen. Gemeint ist das Ausgraben der Asche von Auschwitz-Opfern. Aber auch die Zurschaustellung der in Kunstharz gefassten Überreste der Ermodeten in einer Stele vor dem Reichstag, an dem Ort an der Hitler zum Reichskanzler ernannt wurde. Zudem noch die Crowdfunding-Kampagne, die Entschuldigung, die als Rechtfertigung Befürworter*innen der Aktion anführt sowie die flapsigen Fragen am Ende der Stellungnahme nach dem weiteren Weg derer, denen die Totenruhe genommen wurde, als würden die Künstler*innen nun aus einer Außenperspektive schwierige moralische Fragen stellen, obwohl sie selbst Auslöser des Moralbruchs waren. Dann noch die Selbstdarstellung als Archäolog*innen und letzte Schützer*innen der Demokratie mit der als „Schwurstätte gegen den Verrat an der Demokratie“ benannten Stele, auf der sich nun ein antiker Schwurspruch befindet. „Wir haben damit in der Bundesrepublik einen Gedenkort geschaffen, an der jeder Mensch, dem die Demokratie es wert ist, einen verbindlichen Schwur zu ihrer Verteidigung leisten kann“, heißt es selbstverliebt in einem Statement. Zuletzt die direkt gefolgte Aktion, bei der der Grabstein des Hitler-Ermächtigers Franz von Papen vor der CDU-Parteizentrale ausgestellt wurde, als sei nichts passiert. Dies ist nur ein kurzer Abriss. Die tatsächliche Bandbreite der Verletzung religiöser und ethischer Werte erstreckt sich weiter.
Die Mittel der Kunst, durch Polarisierung Aufmerksamkeit zu erhalten, ist alterprobt und im allgemeinen Verständnis unterbewertet. Häufig wird postuliert, Künstler*innen würden polarisierende Kunst nur wegen der Sensation, den Verkaufszahlen oder der Kränkung anderer betreiben. Doch das eigentliche Ziel ist es häufig, durch aufmerksamkeitserregende Kunst, die auch Grenzen durchbrechen kann, Debatten loszulösen und Gesellschaftsnormen, unmodern geglaubte Werte oder sonstiges zu hinterfragen. Dadurch wird es möglich, Tabuthemen offen anzusprechen und einen Wandel herbeizuführen, falls dieser gewünscht ist. Die Grundlage für die Akzeptanz polarisierender und grenzensprengender Kunst ist jedoch ein Vertrauen in die Künstler*innen, dass diese eine angemessene Sorgfalt erledigen, tiefe moralische Probleme zu überdenken. Vor allem solche, die der Botschaft ihrer Kunst Leid tragen. Das ZPS gibt an, an die Ermordeten von Auschwitz erinnern zu wollen. Dabei verletzen sie jedoch deren persönliches Andenken und das ihrer Nachfahren, indem sie die Asche von Ermordeten zu ihrem frei verfügbaren Eigentum erklären.
Dem Kollektiv war vollstens bewusst, was sie taten. Ihnen kann nicht das Unwissen darüber, welch ein Vergehen an der jüdischen Totenruhe die Aktion bedeute, nahegelegt werden. Sollte – egal ob bei der Konzeption oder der Erstellung – niemand der vielen (oftmals hochgebildeten) Personen, die an einer solch aufwendigen Aktion beteiligt waren, Einwände erhoben haben, wäre das selbsternannte „radikal-humanistische“ Kollektiv ausgehöhlter, als es ohnehin schon ist.
:Stefan Moll
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