Bild: Schreiben, koste es, was es wolle: Yücels Buch „Agentterrorist“ ist seit Oktober im Verlag Kiepenheuer & Witsch erhältlich., Für die (Presse)Freiheit Symbolbild

Presserecht. Der Journalist Deniz Yücel saß ein Jahr in einem türkischen Hochsicherheitsgefängnis, weil er regimekritisch berichtete. Seine Dokumentation „Agentterrorist“ stellte er im Schauspielhaus vor.

Bücherseiten, eine abgebrochene Plastikgabel, übriggebliebene Soße: Als ihm nicht einmal Papier und Stift zur Verfügung standen, entwickelte er Zwecklösungen, schreibt der Welt-Korrespondent Deniz Yücel über das Jahr im türkischen Hochsicherheitsgefängnis Silivri Nr. 9. Alles um das Schreiben, die Worte über diese „Symphonie aus Stahl, Stacheldraht und Beton“ hinwegzuretten, die die Unfreiheit ist. Yücel stellte sein Buch „Agentterrorist“ über die Zeit in Versteck und Isolationshaft, das er auf Sizilien nach seiner Freilassung im Februar 2018 schrieb, am Mittwoch in den ausverkauften Kammerspielen vor. Die Lesereise begreift Yücel auch als „Dankeschön-Tour“ für die internationale Solidarisierungskampagne #freeDeniz.
Als er 2015 das Angebot bekam, von der taz zur Welt zu wechseln, habe das auch bedeutet, von Berlin nach Istanbul zu gehen, in die „Stadt der Katzen“, durch die das Meer mitten hindurchfließe. Dass Yücel nicht fertig ist, mit dieser Türkei, wird erkenntlich an den sanften Worten mit der er sie beschreibt, doch führe er derzeit eine „Fernbeziehung“ zu ihr. Auch, wenn er bald wieder journalistisch tätig sein wolle, so vorerst nicht in der Türkei; zu eindringlich die Erfahrungen in der „Nichtsodemokratie“ unter Recep Tayyip Erdoğan, im „größten Journalisten-Knast der Welt“. Seit Verhängung des Ausnahmezustands nach dem gescheiterten Militärputsch 2016, machen es sich Regierung und Polizei noch einfacher, Journalist*innen, und – worauf Yücel hinweist – auch andere Regimekritiker*innen wie Anwält*innen, in Scharen und ohne richterlichen Beschluss festzunehmen. Yücel, laut Erdogan „PKK-Terrorist“ und „deutscher Agent“, daher der Buchtitel, berichtet trotz der Ernsthaftigkeit der Thematik recht unterhaltsam von seinem Versteck in der Sommerresidenz des deutschen Botschafters, dem Austausch mit der Bundesregierung und dem öffentlichkeitswirksamen Kampf um seine Freiheit. „Autoritäre Regime haben immer auch eine komische Seite“ und: „Was man in dem Moment nicht ändern kann, kann man auslachen“, argumentiert er und erzählt vom Tee mit dem Polizeipräsidenten, der ihn kurz darauf festnehmen ließ und, dass ihm eine Zeit lang ausschließlich die Briefe seiner Schwiegermutter zugestellt worden seien. „Es darf ihnen nicht gelingen, mich zum Schweigen zu bringen“:

Dass Yücel auf seiner Lesereise immer wieder die gleichen Anekdoten und Phrasen zitiert, ist wohl unvermeidbar und dass sein „Ich habe gekämpft“ teilweise selbstheroisierend wirkt, so gewollt. Weiterhin setzt Yücel aber, als Schreibender, der Sichtbarkeit möchte, ein klares Zeichen. Es sollte deutlich sein, dass er – ob selbsternannt oder nicht – als „Posterboy der Pressefreiheit“ nur stellvertretend für so viele ungenannte Journalist*innen stehen kann, denen weltweit und speziell in der Türkei, Meinung und Worte geraubt werden und, welche noch immer nicht „frei“ sind. Yücels atmosphärische und individuelle Erlebnisberichte bekommen so spätestens ihre politische Bedeutung, wo sie auf strukturelle, gesamtgesellschaftliche Missstände – auch in Deutschland – hinweisen. So hätten, anders als viele Personen der Öffentlichkeit, die meisten großen deutschen Wirtschaftskonzerne, die #freeDeniz-Kampagne nicht unterstützen wollen. Nur die Deutsche Bahn habe zugesagt, die Allianz etwa nicht: „Ich finde nicht, dass man in Länder wie die Türkei oder auch China gar nicht mehr investieren sollte. Doch bei Milliarden-Aufträgen hat man eine gewisse Verantwortung. Von dieser kann man Gebrauch oder sich zum Komplizen machen“, so Yücel am Mittwochabend. 

:Marlen Farina

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