Review. Vermeintliche Poesie bei Rapper*innen – auf dem Debütalbum vom Kummer wird das real.
Komm, wir gehen auf eine Reise, die 12 Lieder und 37 Minuten lang ist, denn das ist der Umfang des neuen Albums „Kiox“ von Kummer. Eine Alternative zum aktuellen chartsdominierenden Deutschrap, der sich von dem ganzen „Nur noch Gucci“ und „Brillis“ abgrenzt. Natürlich möchte ich diese nicht schmälern, denn sie haben nicht umsonst diese Platzierungen erreicht. Dennoch ist es schön, seinen Lauschern etwas Tiefgründiges zu geben. Und das hat Felix Brummer, der unter dem Namen „Kummer“ nun sein Solodebüt startet, gemeinsam mit den Produzenten BLVTH und Drunken Masters geschafft. Der Kraftklub-Frontmann beschäftigt sich mit seiner Vergangenheit, in der es nicht immer rosig schien. Der Chemnitzer bringt mit seinem Nummer-Eins Album diese melancholische Welt näher, mit der sich aber viele Hörer*innen identifizieren können.
Seine Begrüßung auf dem Album lautet wie folgt: / Das ist nicht die Musik, die du suchst / Nicht die Musik, die du brauchst. Er nimmt uns alle Erwartungen weg und listet straight auf, was wir bekommen werden. Er paraphrasiert in den weiteren Zeilen des Songs, dass all das was in den Charts aktuell läuft und funktioniert auf diesem Album nicht zu erwarten ist. Stattdessen hören wir „In meinen Welthass-Selbsthass-Mix“, mit der Message, „Rap wieder weich“ und „Rap wieder traurig“ zu machen. Und diese Mood spürt man in „9010“. Dort rapt er über seine Erfahrung mit dem „Rechten Chemnitz“ und wie jemand aus der Szene ihm das Leben schwer gemacht hat. Jedoch nicht als Hasstirade. Es ist eher eine „Guck dich an, du trauriger, alter, weißer Mann – was ist nur aus dir geworden“-Interpretation. Seine Brüderschaft, hat sich abgewendet und Drogen schienen die einzig richtige Alternative zu sein. Aus der Lust nach Rache wird Mitleid: / Heute wird keiner mehr drangsaliert, keiner hat mehr Angst vor dir / Eher hat man Angst um dich wie du bis zum Anschlag dicht /. Der Höhepunkt der Dramaturgie auf „Kiox“ findet sich in „Schiff“ wieder, das sich immer wieder neu analysieren und interpretieren lässt. Und wie in guter Deutschlehrer*innen-Manier sage ich: „Du musst Deine These zum Song einfach belegen können“. Ein mehrschichtiges Stück, welches einem das Gefühl von Stillstand gibt. Das Wasser steigt, das Schiff droht unterzugehen, aber die Musiker*innen hören nicht auf zu spielen: / Es riecht nach Pisse, es riecht nach Tod /Aber ich fühl‘ mich hier wohl /.
Das Album ist stimmig und braucht Zeit. Zeit, es zu hören. Zeit, es zu verstehen. Zeit, die Ihr Euch nehmen solltet, wenn Ihr Euch an Kummer macht. Je öfter man es hört, desto mehr hört man. Es ist detailverliebt, gespickt mit sprachlichen Bildern, Melancholie und Akzeptanz. Felix stellt sich gegen die Selbstoptimierung und nimmt uns mit in seine Jugend und ins hier und jetzt. Er rapt über Depressionen und das Misanthropendasein: Tabuthemen in einer leistungsorientierten Gesellschaft, aber das ist „Okay“. Kritisiert den Markenhype der Menschen und nimmt vor den YouTube-Rapper*innen auch kein Halt. Mit Max Raabe („Rest meines Lebens“) und Keke und LGoony („Aber nein“) hat er sich passende Features an die Seite geholt, die seine Geschichte erzählen oder seine Message gegen das Establishment des aktuellen Deutschraps rüberbringen.
Dieses Album teilt sich vom Mainstream ab und vielleicht macht es sich dadurch sogar zu einem neuen Mainstream in der Szene. Und wer einen Reim zu Neurodermitis bringt, hat es verdient, gehört zu werden.
:Abena Appiah
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