Albenrezension. Manche Alben sind besondere Herzensangelegenheiten – wie die ersten Lebenszeichen von Künstler*innen in den Plattenregalen und Streamingportalen dieser Welt. Die Rede ist von Debütalben.
Nun sind gleich zwei Debüts erschienen von zwei sehr vielversprechenden Musikern des amerikanischen Hip-Hops. Bei einem der beiden, handelt es sich um Chance, The Rapper und sein lang erwartetes, erstes Studioalbum „The Big Day“.
Und es ist ein großer Tag: Seit seinem überragenden zweiten kostenlosen Mixtape Acid Rap warteten Fans schon lang auf Chances erstes „richtiges“ Album. Zuvor hatte er seine Musik ausschließlich kostenfrei unter die Leute gebracht, doch alles, was ihn früher besonders gemacht hat, scheint auf diesem Album nun zu fehlen. Der vor allem für seine besonnenen und berührenden Lyrics geschätzte MC (master of ceremony) zeigt diese Facette auf „The Big Day“ kaum. Die meisten Zeilen wirken hier wie Lines, die man in einem Buch mit dem Namen „How to Rap cool“ finden würde, geschrieben von einem Haufen weißer, alter Männer. Viele Songs grenzen hier schon an musikalischem Dad-Joke und generell hat man das Gefühl, dass der noch junge Rapper (26) nicht mehr viel zu sagen hat. Vielleicht wollte man mit dieser Platte einfach zu vielen Menschen gefallen, mit dem Nebeneffekt, dass man am Ende überhaupt nicht mehr gefällt. So wurden Chance hier im Vergleich zu früheren Veröffentlichungen, eine Menge Co-Schreiber*innen an die Hand gegeben und man hat das Gefühl, zu viele Köche haben mal wieder den Brei verdorben.
Mindestens ein, zwei „okaye“ Lieder für Fans von früher sollten drin sein, auch wenn Chance Featurepartner*innen mittlerweile oft aus dem Mainstreampop stammen, wie kürzlich Ed Sheeran. Komisch auch, dass der beste neue Chance-Song auf dem Debüt eines anderen Rappers zu finden ist. Bei YBN durfte er wohl er selbst sein.
Die „Young Generation“ rächt sich
YBN Cordae übertrifft mit seinem Debütalbum „The Lost Boy“ die hohen Erwartungen an den erst 21-jährigen Rapper aus Maryland. Dabei wird der Albumtitel seinem Namen gerecht. Es scheint nicht nur darum zu gehen, dass YBN Cordae dank seines Alters andauernd seine Generation verteidigen muss, sondern vielmehr verhandelt ein junger Mann seine Geschichte mit den Zuhörer*innen. So ist „The Lost Boy“ auch kein genrebiegendes Experiment, wie man es sonst aus der Soundcloud-Welt kennt. Vielmehr ist es ein Rap-Album mit Hand und Fuß. Mit „Wintertime“ mockt YBN Cordae fast schon den frühen J. Cole und liefert auf einem souligen Beat eine Geschichte, die der Hip-Hop schon lange nicht mehr zu hören bekam. Gefolgt wird „Wintertime“ dann von „Have Mercy“ – die Single erschien bereits einige Zeit vor dem Album – 808 Drums und alles was ein Trap-Beat zum atmen braucht, versammeln sich auf diesem Song, um dann von dem lispelnden Rapper um Vergebung gebeten zu werden. So umhüllt das Album den*die Hörer*innen langsam mit seinen Gospel- und Soul-Klängen, welche prominente Unterstützung von Künstler*innen wie Chance, The Rapper und Anderson.Paak bekommen. Bis auf einmal „Broke As Fuck“ einen ohne Vorwarnung wieder zurück in die Realität holt – bleibt nur noch Skü Skü zu schreien und die Arme nach oben zu werfen. Wir halten inne, YBN führt uns zurück zum Soul und Gospel. Er pinselt weiter mit seinen Worten die Welt, in der er lebt. Hör Dir „The Lost Boy“ an und hör die Stimme einer neuen Generation, in der Poesie und Soundcloud zusammenleben können, ohne das jeweilig andere zu hassen. Es empfiehlt sich das ganze Album zu hören, aber unsere Lieblingstracks sind „Sweet Lawd – Skit”, „Nightmares Are Real (feat. Pusha T)“ und „Have Mercy“.
:Gerit Höller & Christian Feras Kaddoura
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