Bild: Ingeborg-Bachmann-Preis 2019

Kommentar. Am 30. Juni wurde in Klagenfurt der 43. Ingeborg-Bachmann Preis an Birgit Birnbacher vergeben. Ronya Othmann gewann den BKS-Bank Publikumspreis.

 

„In die Mulde meiner Stummheit / leg ein Wort“, schrieb einst die österreichische Nachkriegsliteratin Ingeborg Bachmann. Gefangen zwischen Verstummen im Angesicht des Unsagbaren und der Notwendigkeit, der Bitte nach einem in-Worte-fassen: Diesem Balanceakt stellten sich viele der teilnehmenden 14 Autor*innen mit politischen, geschichtlichen und zeitgeschichtlichen Texten.

„Wer einmal liegt, steht so schnell nicht mehr auf“: Birgit Birnbachers Text „Der Schrank“ über die prekäre Wohn- und Arbeitssituation unserer Zeit; die Einsamkeit des Einzelnen, die Desillusionierung und Depression der Mitt-30er gewann nicht zu Unrecht den Hauptpreis. „Wer über Ökonomie nicht reden will, soll auch über Faschismus schweigen“, zitierte Juror Stefan Gmünder einen Horkheimer Text von 1939. Angesichts von Faschismus, Nationalsozialismus und Genozid, erhitzten sich die Gemüter aber derart an moralischen, teilweise dogmatischen Grundsatzfragen, die die Texte dahinter eher erstickten. Ronya Othmann schrieb als familiäre Zeugin in der literarisch-journalistischen Reportage „vierundsiebzig“ über den Genozid an den Jesiden durch die Terrormiliz IS 2014. Ihr Text wurde einer umfassenden Kritik entzogen, als es um die Adorno-geprägten Fragen ging: Darf man (autobiografische) Literatur über einen Genozid kritisieren? Darüber schreiben? Ein Urteil der Jury war, dass Othmann gelingt, worüber die Literatur vermöge: das Leid einer verfolgten Minderheit als Kollektiv zu „re-individualisieren“, wo die Geschichtswissenschaft „ent-individualisiere“. Derweil wurde Martin Beyers Roman „Und ich war da“, der nur im Ausschnitt präsentiert wurde, die Daseinsberechtigung abgesprochen. Der Text erzählt in glasklarer, oft protokollarisch-nüchterner Sprache, wie ein ambivalenter und teilnahmsloser Kriegsversehrter die Hinrichtung von Christoph Probst, Sophie und Hans Scholl mitvollstreckt, die er nicht als „Weiße-Rose-Held*innen“ erkennt.  Die Jury schimpft das „Ausschlachtung“ der historischen Persönlichkeiten, Verrat an ihren Tugenden und schreckt vor einer ungeschönt limitierten Täterperspektive eines Mitläufers, eines gemütlich Bösen zurück.       

:Marlen Farina

0 comments

You must be logged in to post a comment.