Ausstellung. Ilse Kibgis schuftete in verschiedenen Jobs, machte den Familienhaushalt in Gelsenkirchen-Horst und schrieb nebenbei Gedichte. Studierende der Germanistik stellen im Dortmunder Fritz-Hüser-Institut die Kunst dieser Arbeitsliteratin vor.
Hart und trostlos war das Leben in Gelsenkirchen-Horst. Hier ist Ilse Kibgis geboren und aufgewachsen. Hier ging sie arbeiten. Als Putzfrau, Kassiererin, Serviererin oder Fließbandarbeiterin. Danach wartete der Haushalt. Einkaufen, kochen, spülen, waschen. Nebenbei zog sie ihren Sohn groß. Wenn dann noch Zeit blieb, setzte sich Kibgis an den Küchentisch der Zweizimmerwohnung und schrieb Gedichte. Ihre Verse und ihre Biographie waren Ausgangspunkt des praxisorientierten Seminars „Ilse Kibgis – ein Ausstellungsprojekt“ unter der Leitung von Joachim Wittkowski. Studierende des Germanistischen Instituts haben im vergangenen Semester eine Ausstellung auf die Beine gestellte, die aktuell im Fritz-Hüser-Institut, wo der Nachlass von Ilse Kibgis verwaltet wird, zu sehen ist.
Eine Begleitbroschüre versammelt Essays, in denen Studierende vielfältige Aspekte von Kibgis Werk beleuchten. Carolin Engelbert etwa betrachtet Kibgis Lokalverbundenheit, angefangen von Schalke 04 bis hin zum Alltag der „Horster, die nicht viel besitzen“. Lukas Zwilling analysiert dagegen die „Arbeitgeber-Arbeitnehmer-Beziehung“ in ihrer Lyrik, die realitätsnahen Beobachtungen der Arbeiter*innenklasse und ihre linke Positionierung, die ohne Agitation auskommt. Nicht zuletzt die traditionelle Arbeitsteilung zwischen Männern und Frauen prägte ihre Gedichte, wie Sabrina Lewandowksi in ihrem Beitrag herausstellt. Der harte Alltag zwischen Akkordarbeit und Hausfrauendasein erlaubte ihr nicht, sich wie Max von der Grün und Co morgens an den Schreibtisch zu setzen. Ja, auch die Welt der sogenannten Arbeitsliteratur war männlich, wie Kibgis in vielen ihrer Texte reflektierte.
Schreiben als Emanzipation
So nahm die Gelsenkirchenerin eine Sonderstellung ein: „Ilse Kibgis steht als Frau geradezu allein auf der weiten Flur der Arbeiterliteratur im Ruhrgebiet“, wie Joachim Wittkowski betont. „Ihre Texte lassen deutliche biographische Bezüge erkennen. Sie richten sich aber nicht ausschließlich an ArbeiterInnen, sondern erreichen mit ihrer nüchternen Wirklichkeitssicht ein weit größeres Publikum. Und mit Ilse Kibgis meldet sich eine Frau zu Wort, die die Rolle der Frau in der Gesellschaft unideologisch nüchtern reflektiert.“
Das Schreiben von Gedichten definierte sie als Emanzipation, als Ausbruch aus der engen, proletarischen Lebenswelt und der patriarchalischen Geschlechterordnung. Für Studierende bedeute das noch heute ein Vorbild, „sich nicht von ungünstigen gesellschaftlichen Verhältnissen einschüchtern zu lassen“, so Wittkowski.
Diesen grauen Verhältnissen rang Kibgis so schöne Verse ab wie etwa im Gedicht „Pommesfrau“: „Manchmal zwischen zwei Handgriffen blickt sie in Gesichter wie in fremde Welten“. Seit einem Kooperationsprojekt der Dortmunder Stadtwerke und der TU im Jahr 2011 ist diese Strophe in den U-Bahnen zu lesen. Und wenn diese durch die Nordstadt rauscht, blickt man morgens in ähnliche Gesichter.
:Benjamin Trilling
Zeit:Punkt
Die Ausstellung „Ilse Kibgis: Arbeiterin – Hausfrau – Lyrikerin“ ist noch bis zum 30. Januar 2019 im Dortmunder Fritz-Hüser-Institut zu sehen, Eintritt frei.
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