Bild: Die alte Synagoge: Das jüdische Gotteshaus fiel wie mehr als tausend andere den faschistischen Novemverpogromen zum Opfer., Die Erinnerung wachhalten

Erinnerung. Vor 80 Jahren brannte auch die Bochumer Synagoge. Bei den Novemberpogromen begann für alle sichtbar die Shoa. In Bochum erinnerte ein breites Bündnis an die Taten. Außerdem erinnerte eine Stadtführung an Täter*innen und Opfer von damals.

Das jüdische Leben in Bochum war vor 1938 unübersehbar: Die Synagoge am heutigen Dr.-Ruer-Platz, das jüdische Viertel rund um die Goethestraße oder zahlreiche Geschäfte und Restaurants rund um den heute nach dem kommunistischen Widerstandskämpfer Karl Springer benannten Springerplatz zeugten von einer lebendigen Gemeinde. Obwohl nur 0,36 Prozent der Bochumer Bürger*innen jüdischen Glaubens waren, prägten einige von ihnen das gesellschaftliche Leben stark mit. So unter anderem die Eheleute Ottilie und Siegmund Schoenewald. Als eine von acht Frauen des Bochumer Stadtparlaments war Schoenewald der ab 1926 in Bochum erstarkenden NSDAP ein Dorn im Auge, weiß Michael Niggemann zu berichten. Niggemann ist Mitglied in der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN-BdA) und organisiert regelmäßig Stadtführungen in Bochum. Am diesjährigen 9. November ist seine Führung gut besucht, mehrere Schulklassen hatten ihr Kommen angemeldet, so viele, dass er einigen absagen musste, wie er berichtet. Auch sonst ist der Rundgang an diesem 9. November anders: „Es wird oft nur über die Opfer gesprochen, und es ist wichtig, dass diese ein Gesicht kriegen“, sagt Niggemann, „aber auch die Täter müssen benannt werden. Darüber wird zu wenig berichtet.“ Bereits am Startpunkt wird klar, dass sich die Bochumer Geschichte nicht von Schuld freisprechen kann. Wenige Stunden vor dem Einmarsch der Alliierten erschoss die Gestapo in ihrer Wache 20 Widerstandskämpfer und Zwangsarbeiter und verscharrte die Leichen in einem Bombentrichter am Stadtpark. Eine Gedenktafel erinnert an die Tat. Nur wenige Meter vom Stadtpark entfernt findet sich die Goethestraße. Sie war bis 1938 das Zentrum des jüdischen Bürgertums in Bochum. Von der Pogromnacht blieb das Haus der Schoenewalds mit der Nummer 9 verschont, doch ein Lehrer einer nahe gelegenen Schule versammelte sich am Morgen des 10. November vor dem Haus und verwüstete auch dieses, wie so viele andere jüdische Häuser und Einrichtungen in der Stadt. Von der ursprünglichen Bebauung der Straße ist nur wenig vorhanden geblieben, nur einige Stolpersteine und eine Informationstafel erinnern an die Geschichte der Straße.
Auf dem Weg macht Niggemann auf die zahlreichen weiteren Stolpersteine aufmerksam, die an die Opfer des Faschismus erinnern sollen. Viele von ihnen sind verwittert und nur noch schwer zu entziffern. Ein Problem, das Martina Faltinat von der Stolpersteininitiative Frankfurt am Main bekannt ist. Die gebürtige Bochumerin nimmt am Rundgang teil, nicht nur aus Interesse, sie will vor allem wissen, wo die Stolpersteine liegen, um sie zu polieren. „Man muss doch lesen können, wer hier gelebt hat“, kommentiert sie ihr Tun. Beim dritten Stein gesellt sich ein Schüler zu ihr, um ebenfalls zu polieren. Später tun es ihm andere Teilnehmer*innen gleich. Es wirkt wie ein Kniefall vor den Opfern des Faschismus, eine Geste der Erinnerung und Mahnung.

Orte der Erinnerung

Geht es nach Niggemann und dem VVN-BdA, müsse in Bochum noch mehr erinnert werden, etwa bei den so genannten Pluto-Garagen am heutigen Nordring. In den berüchtigten Folterstätten der Nationalsozialisten wurden unzählige Menschen verhört, misshandelt und vermutlich auch getötet. An sie erinnert bis heute nichts. Die alten Garagen auf dem Hinterhof eines Wohnhauses werden heute als Lagerstätten genutzt, in einem Gebäude war für einige Zeit ein Theater untergebracht. „Niemand hat auf die Geschichte des Ortes aufmerksam gemacht“, weiß Niggemann zu berichten. Dabei sei das Vorhandensein der Folterstätte bereits den Anwohner*innen während der NS-Zeit bekannt gewesen. „Wer hier gewohnt hat, muss die Schreie gehört haben. Auch diejenigen, die geschwiegen haben, sind in einer Weise Täter“, meint Niggemann. Doch er gibt auch zu bedenken, dass die Rolle derjenigen, die Angst um ihr eigenes Leben hatten, schwierig zu bewerten ist. Vor den so genannten Judenhäusern in Bochum erinnern meist auch nur Stolpersteine an die Geschichte der Orte. Während der Zeit der Judenverfolgung und Deportationen wurden Häuser, die ehemals im Besitz jüdischer Menschen waren, vom Staat enteignet und als Wohnhäuser für teilweise bis zu 100 und mehr Personen genutzt. Stolpersteine werden jedoch nur am letzten frei gewählten Wohnort der Opfer verlegt, sodass in Bochum bisher über 250 Stolpersteine an verschiedenen Orten der Stadt, nicht nur an den wenigen Standorten der Judenhäuser verlegt wurden. Eine Ausnahme bildet die Stolperschwelle an der Kohlenstraße. Hier unterhielt der Bochumer Verein ein Außenlager des Konzentrationslagers Buchenwald. Bis zu 2.000 Häftlinge waren für die Munitionsproduktion zuständig.

Die Täter

Nicht nur beim Bochumer Verein waren Zwangsarbeiter*innen beschäftigt. Mit über 100 KZ-Außenlagern und sonstigen Zwangsarbeiter*innenlagern verdienten der Krupp-Konzern, aber auch sämtliche Zechenbetreiber, die Firmen Lueg, Mönninghoff, Eickhoff und Gröppel oder die Bogestra. Mindestens 1.720 Menschen kamen während der Zwangsarbeit ums Leben und wurden auf dem Bochumer Zentralfriedhof begraben. Bei der Errichtung eines Gedenksteins kam es bereits 1945 zum Streit über die Mitverantwortung des Bochumer Vereins. An anderen Stellen in der Stadt sind Gedenktafeln angebracht worden, etwa in Eppendorf, Dahlhausen und Engelsburg. Hermann Grossmann, SS-Obersturmführer und Lagerleiter der KZ-Außenstelle Bochumer Verein wurde am 14. August 1947 im Buchenwald-Hauptprozess zum Tode verurteilt und am 19. November 1948 in Landsberg hingerichtet. Die Ausbeutung von KZ-Häftlingen habe jedoch nicht bei der Zwangsarbeit halt gemacht, erläutert Niggemann am Beispiel der Vernichtungslager Treblinka und Sobibor: „In einem Raum wurden den Gefangenen die Wertsachen abgenommen, in einem anderen die Haare abgeschnitten. Dann wurden sie vergast und hinter der Gaskammer verbrannt. Alles wurde verkauft, nicht nur die Wertsachen, auch die Haare, selbst die Asche der Toten, etwa als Düngemittel. Das war wirtschaftlich alles durchgeplant.“

Die Opfer

Dem Nationalsozialismus fielen in Bochum nicht nur Menschen jüdischen Glaubens und Widerstandskämpfer*innen zum Opfer. An der Kreuzung Alleestraße/Westring erinnert ein weiterer Stolperstein an den Bochumer Heinrich Wahle. Dieser wurde am 17. Juli 1941 im Konzentrationslager Sachsenhausen erschossen. Sein Schicksal teilten 81 weitere Männer im Juli 1941. Ihr Vergehen war es, homosexuell zu sein. Aus den Aufzeichnungen des Häftlings Emil Büge geht hervor, dass die Männer gezielt hingerichtet wurden, die KZ-Unterlagen berichten von „Kopfschuss bei Fluchtversuch“ als Todesursache. Ganz in der Nähe von Wahles letztem Wohnort findet sich der Appolonia-Pfaus-Park. Ein Name, den die Grünflache dem Engagement des VVN-BdA zu verdanken hat. Pfaus wurde 1943 mit ihrer gesamten Familie nach Auschwitz deportiert, da sie den Sinti angehörte. Zwar sei der Deportationsbescheid nur auf ihre Kinder ausgestellt gewesen, berichtet Niggemann, doch Appolonia weigerte sich, ihre Kinder allein gehen zu lassen. Der Park hinter dem technischen Rathaus steht als Mahnmal stellvertretend für die aus Bochum deportierten Sinti und Roma.

Gedenken

Am Platz, auf dem bis 1938 die Bochumer Synagoge stand, erinnerten auch in diesem Jahr Schulen, Parteien, Gewerkschaften, politische Organisationen und die jüdische Gemeinde an die Taten vor 80 Jahren. Schüler*innen der Erich-Kästner-Schule organisierten das Rahmenprogramm und erinnerten an die Zerstörung jüdischen Eigentums und die Ermordung von Menschen jüdischen Glaubens. Für Grigory Rabinovich, Vorsitzenden der jüdischen Gemeinde, ist es wichtig, dass junge Menschen die Erinnerung an die Geschehnisse wachhalten. Es sei symbolisch, dass junge Menschen das Gedenken wachhalten, sagt er vor etwa 200 Teilnehmer*innen. Rabinovich mahnte in seiner Rede den noch immer existierenden Hass auf Jüdinnen und Juden an: „Ich trage eine Kippa, in der Synagoge oder jetzt hier, wo ich unter Freunden bin; aber ich würde sie nicht in der Öffentlichkeit tragen. Nicht, weil ich ängstlich bin, sondern weil es noch immer Antisemitismus gibt.“ Auch auf die AfD kam er zu sprechen; vor fünf Jahren hätte er sich nicht vorstellen können, dass Rechtsradikale im Bundestag vertreten sein könnten, sagte er. Über die Gruppe „Juden in der AfD“ sagte Rabinovich: „Ich möchte mich dafür bei allen von Ihnen entschuldigen. Oberbürgermeister Thomas Eiskirch (SPD) mahnte in seiner Rede an, dass jeder antisemitische Angriff auch ein Angriff auf die demokratischen Werte der Gesellschaft seien und nicht toleriert werden dürften. Daher sei er froh, dass in Bochum immer wieder gezeigt werde, dass Neonazis und Rechtsradikale nicht willkommen seien. Er bedankte sich für alle Teilnehmer*innen auf antifaschistischen Demonstrationen. Mit Blick auf die Bundespolitik mahnte Eiskirch, dass die Erinnerung an die Taten des Nationalsozialismus weder vergessen, noch relativiert werden dürften. Aussagen von Alexander Gauland, der den Nationalsozialismus als Vogelschiss in der Geschichte Deutschlands bezeichnete, seien nicht hinnehmbar. Mit dem Sprechen des Kaddischs, des jüdischen Totengebets, endete die Gedenkveranstaltung.

:Justinian L. Mantoan

 

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