Kommentar. Familienministerin Giffey will junge Lehrkräfte an „Brennpunktschulen“ schicken. Strukturelle Schieflagen lässt das unberührt.
„Dangerous Minds“ ist der Titel eines schlechten Films aus den 90ern. Darin wird eine Ex-Marine-Soldatin, gespielt von Michelle Pfeiffer, an eine Schule versetzt, wo sich ihre Schüler*innen in Gangs zusammenrotten und Drogen verticken. Doch die Pädagogin zieht sich – untermalt von Coolios Rap-Hit „Gangsta‘s Paradise“ – einfach eine lässige Lederjacke über, demonstriert eine paar Karate-Tricks und domestiziert die Ghetto-Kids mit den Verlockungen des Spätkapitalismus wie Schokoriegel oder Freizeitpark-Ausflüge. Bis diese harten Homies irgendwann vor der Tafel stehen und ganz zarte Bob Dylan-Verse vorlesen.
Bildungsauftrag umgesetzt. Zumindest in dieser Hollywood-Welt. Offenbar hat Bundesministerin Franziska Giffey (SPD) diesen Streifen gesehen. Denn ihr Vorschlag, die besten Lehrer*innen des Landes an die „Brennpunktschulen“ dieser Republik zu entsenden, klingt wie aus diesem Filmkosmos entsprungen. Abgesehen von den Hürden bei der Umsetzung (angefangen bei der Bildungshoheit der Länder), stellt sich die Frage: Was haben die benachteiligten Schüler*innen zu erwarten, wenn talentierte Lehrkräfte den Unterricht geben?
Knallharte Biopolitik
Als Brennpunktschulen werden in Berlin Bildungseinrichtungen definiert, wenn mehr als 80 Prozent der Schüler*innen aus Familien stammen, die auf Sozialleistungen angewiesen sind. Sprösslinge von prekarisierten, perspektivlosen, unterbezahlten Eltern werden an diesen Schulen zusammengepfercht und auf ein prekarisiertes, perspektivloses, unterbezahltes Leben vorbereitet. Klingt nach einem strukturellen Problem. Und das ist es auch.
Lösen lässt sich das nicht, wenn ein paar Top-Lehrkräfte dort gegen Extra-Bezahlung Hausaufgaben geben. Das lässt das strukturelle Problem unberührt. Bildungschancen erhalten Kinder und Jugendliche etwa durch Reformen, die Gesamtschulen und eine Ganztagsbetreuung ausbauen. Doch Giffey akzeptiert diese „Brennpunkte“, ihr Vorhaben würde diese Ungerechtigkeit nur zementiert lassen. Was wie ein idealistischer Vorstoß der Ministerin klingt, ist knallharte Biopolitik. Und das sind eben: „gefährliche Gedanken“.
:Benjamin Trilling
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