Philosophie. Die neu gegründete Emmy-Noether-Gruppe am Institut für Philosophie II an der RUB befasst sich kritisch mit einer der ältesten Methodiken der Philosophie und kommt dabei zu interessanten Ergebnissen.
Selbst Menschen, die keine gelernten PhilosophInnen sind, kamen vermutlich schon mit dem sogenannten Trolley-Problem in Kontakt. Denn das Gedankenexperiment, bei dem eine Straßenbahn auf eine Gruppe von Menschen zufährt, aber als Alternative eine einzelne Person durch bewusstes Eingreifen geopfert werden kann, ist Gegenstand vieler moderner Nutzenerwägungen. Im vergangenen Jahr war dies zum Beispiel die Prämisse des ARD-TV-Abends „Terror – Ihr Urteil“, bei dem ZuschauerInnen per Telefonwahl darüber bestimmten sollten, ob ein fiktiver Kampfpilot, der ein durch Terroristen entwendetes Flugzeug abschoss und dadurch gegebenenfalls den Tod einer größeren Anzahl von Menschen verhinderte, als schuldig verurteilt werden soll. Auch trifft man das moralische Dilemma derzeit häufig, wenn es darum geht, Verhaltensregeln für autonom fahrende Autos zu definieren.
Ein neuer Weg …
Doch an der Verwendung von Gedankenexperimenten zur Beantwortung von philosophischen Fragen gibt es seit geraumer Zeit Kritik. Diese wird seit kurzem seitens der neu gegründeten Emmy-Noether-Gruppe am Institut für Philosophie II der RUB geäußert. Die NachwuchsforscherInnengruppe ordnet sich der Strömung der experimentellen Philosophie zu, die versucht, mit empirischen Methodiken, wie solchen aus der Psychologie oder den Sozialwissenschaften, philosophische Fragen zu beantworten.
Mit ihrer Herangehensweise versuchen die PhilosophInnen so, die grundlegende Anfälligkeit für Verzerrungen bei Gedankenexperimenten zu zeigen. Selbst PhilosophInnen seien nicht davon befreit, unvoreingenommen über Gedankenexperimente nachzudenken. Dies demonstrierte Joachim Horvath, Leiter der Gruppe, mit seinem Kollegen Alex Wiegmann von der Georg-August-Universität Göttingen in einem Experiment, bei dem in einem Trolley-Szenario Zwischenoptionen hinzugefügt wurden, um zu überprüfen, wie Befragte darauf reagieren. Dabei entschieden sich die ProbandInnen trotz der Zwischenoptionen häufiger für die radikalere Option, eine Person zu opfern, um die Gruppe zu retten. „Wir haben da herausgefunden, dass auch Philosophen, die sich professionell mit Ethik und Moralphilosophie beschäftigen, ganz genauso anfällig oder teilweise sogar noch anfälliger für diesen Effekt sind wie Laien.“
… für alte Methoden
In einer anderen Studie der Emmy-Noether Gruppe wurden PhilosophInnen über ihre Haltung zu Gedankenexperimenten befragt. „Ein frühes Ergebnis war dann zum Beispiel, dass die Antworten stark davon abhingen, welchen kulturellen Hintergrund die Leute hatten,“ so Horvath. „Das ist eine Art von Ergebnis, das für Philosophen erstmal in gewisser Weiße ‚beunruhigend‘ ist, weil es die Objektivität dieser Ergebnisse, die Philosophen gerne erzielen wollen, in Frage stellt.“
Bei ihrer Kritik geht es den AkademikerInnen jedoch nicht um den kompletten Bruch mit der Methodik, die seit der Antike besteht. Stattdessen ginge es darum, die Methode mit Einschränkungen und Vorbehalten kritisch zu reflektieren. „Der Zugang des Projektes ist nicht destruktiv, sondern konstruktiv,“ so Horvath. „Das Projekt will das umfassend klären, was von der Methode bleiben kann oder was nicht bleiben kann.“
:Stefan Moll
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