Forschung. Wie Psychosen chronisch werden und welche Rolle Glutamat und veränderte Rezeptoren im Gehirn dabei spielen, haben ForscherInnen der Medizinischen Fakultät der Ruhr-Universität Bochum untersucht.
Glutamat – wer jetzt an Tütensuppen und Geschmacksverstärker oder die mysteriöse Nummer E621 denkt, ist hier völlig falsch. Das Glutamat, von dem wir hier sprechen, ist ein Botenstoff, der im Gehirn für die Bildung von Erinnerungen, also das Gedächtnis, zuständig ist. Und ebendieses Glutamat oder genauer, die Rezeptoren im Hippocampus, die auf Glutamat reagieren, verändern sich in ihrer Funktion und ihrem Aufbau am Anfang der Entstehung einer Psychose. Das sind die Resultate, die Prof. Denise Manahan-Vaughan und Dr. Valentina Dubovyk vom Lehrstuhl Neurophysiologie in ihrer vierjährigen Forschung an Tiermodellen zu Psychosen erzielen konnten.
Was ist eine Psychose?
Grundlegend beschäftigt sich Prof. Denise Manahan-Vaughan mit den Mechanismen zur Gedächtnisbildung im Hippocampus. Besonders die Psychose hat es ihr als Forschungsgebiet angetan, mit deren Entstehungsmechanismen sie sich seit über 15 Jahren beschäftigt. „Sie ist als Hirnerkrankung außergewöhnlich, denn sie betrifft junge Erwachsene und bis jetzt war nicht nachweisbar, dass es eine physische beziehungsweise pathologische Änderung im Gehirn gibt“, erklärt sie. Anders als bei Demenz beispielsweise, bei der eine feststellbare Änderung im Gehirn stattfindet, ist bei Psychosen das Gehirn augenscheinlich anatomisch gesund. Die ersten Symptome wie Halluzinationen (zum Beispiel das Hören und Sehen von Dingen, die andere nicht wahrnehmen) und Delusionen (Täuschungen, wie der Glaube, verfolgt zu werden) zeigen sich im Alter zwischen 18 und 25 Jahren. Später kommen sozialer Rückzug und Apathie dazu. Kognitive Störungen tauchen auch auf. „Unser Hippocampus hilft uns, komplexe Erinnerungen zu bilden. Dazu muss er in der Lage sein, irrelevante Sinnesreize zu ignorieren. Bei einer Psychose ist diese Filtrierungsfunktion gestört, was zu falschen Erinnerungen führen kann“, erklärt die Neurophysiologin. Die Persönlichkeitsveränderungen würden als erstes Familienangehörigen auffallen. Ein zügiger Behandlungsbeginn führt zu besseren Prognosen.
Behandlung von Symptomen
In den 50er Jahren wurde Dopamin als beteiligter Botenstoff bei einer chronischen Psychose angenommen. Seitdem wird die Erkrankung mit Medikamenten behandelt, die auf Dopaminrezeptoren im Gehirn wirken. „Das funkioniert auch“, erklärt Manahan-Vaughan, „aber damit werden nur die Symptome behandelt. Die Erkrankung selbst wird nicht dadurch geheilt“. Seit einigen Jahren wird vermutet, dass auch Glutamat eine wichtige Rolle bei der Entstehung von chronischen Psychosen spielen könnte.
Prof. Denise Manahan-Vaughan wünscht sich „ein Wegdenken von Dopamin als Ursache für chronische Psychosen und ein Hindenken zu Glutamat. Wenn man die Veränderungen im Hippocampus unterbricht, kann man möglicherweise den Übergang in eine chronische Erkrankung und deren Stabilisierung unterbinden“. Für sie persönlich ist die Forschung an Psychosen besonders wichtig, weil die PatientInnen den Großteil ihres Lebens darunter leiden. „Bei einer Lebenserwartung von etwa 80 Jahren ist das eine sehr lange Zeit.“
:Kendra Smielowski
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