Bild: Kontroverse um Eugen Gomringers „Avenidas“ Bild: kac

Kommentar. Kritik und Empörung wegen Eugen Gomringers Gedicht „Avenidas“ an der Fassade der Alice Salomon Hochschule in Berlin ist richtig. Nicht aber die Entscheidung der Studierendenschaft, Kunst einfach zu entfernen. Besser wäre eine künstlerische Auseinandersetzung gewesen.

 

Es ist Denkfaulheit, wenn Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU) die demokratische Entscheidung, Gomringers Gedicht zu entfernen, als „Barbarei“ bezeichnet. Oder Hildegard Bruns in einem Kommentar in der „Berliner Zeitung“ nachfragt: „Darf etwa ein Mann Natur und Frauen nicht mehr bewundern?“ Befanden sich die beiden im Winterschlaf, als es vor zwei Jahren in Köln zu massenhaften Übergriffen kam? Als  die #metoo-Debatte in den letzten Monaten aufdeckte, wie sehr sexueller Missbrauch in Hollywood zur Tagesordnung gehört? Und haben sie verpennt, dass mit der AfD allerhand chauvinistisches Gesindel im Bundestag sitzt?

Kunst und Literatur sind nicht darüber erhaben, wenn Diskurse über Sexualität, Macht und damit auch patriarchale Normen sich wandeln. Wenn etliche Studierende sich unbehaglich fühlen, Sexismus und eine Degradierung der Frau zum Dekorations-Objekt im Gedicht sehen (so die AStA-Argumentation), dann ist es falsch, der Kunst einen Heiligenschein auszustellen. Doch 

KritikerInnen sprachen von Zensur oder Irrwegen der political correctness. 

Offenheit des Kunstwerks 

Ob Eugen Gomringer in patriachalisch-konservativer Manier die Darstellung der Frau als Objekt intendiert hat, sei dahingestellt. Sein Gedicht steht in der Tradition der Konkreten Poesie: Ein Gebrauchstext, der minimalistisch das sprachliche Klangmaterial in den Vordergrund rückt. Ein lyrisches Ich, das eine konkrete Straßenszene beobachtet, ist etwa aus den Versen selbst nicht ersichtlich. Es bleibt eine Offenheit und Mehrdeutigkeit. Ohne diese kann es auch keine Kunst geben. Und sie ist unverzichtbar für einen gesellschaftlichen Diskurs. In genau diesem Sinne ist es zu begrüßen, dass dieses Gedicht, das 1951 verfasst wurde, heute eine solche politische Wirkung erfährt. Es steht für eine Sensibilisierung der Debatten über Sexismus. Doch sosehr Gomringers Verse wie eine paternalistische Geste an der Fassade wirken, es bleibt ein vieldeutiges Kunstwerk. Ein Sprachexperiment ohne Eindeutigkeit. Nach der Entscheidung der Studierendenschaft bleibt daher die Frage, ob es nicht sinnvoller gewesen wäre, die Fassade für weitere Gedichte zu nutzen, statt das Kunstwerk auszuradieren. Als Fläche, in der Künstlerinnen und Dichterinnen eine männlich dominierte Kunsttradition dekonstruieren. Als Raum, in dem überfällige Sexualvorstellungen angegriffen werden können. Als Raum für Neues. Mit den Mitteln der Kunst. Denn so ist Gomringers Gedicht aus der Welt geschafft. Nicht aber Sexismus und Patriarchat. 

:Benjamin Trilling

 

Infobox

Das seit 2011 die Fassade der Salomon-Hochschule zierende Gedicht von Eugen Gomringer in der deutschen Übersetzung:

„Alleen
Alleen und Blumen
Blumen
Blumen und Frauen
Alleen
Alleen und Frauen
Alleen und Blumen und Frauen und ein Bewunderer“

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