Bühne. Ich streame, ich scrolle, also bin ich? So sicher ist das nicht, wie der Jugendclub „Systemfehler“ im Theater Unten des Schauspielhauses zeigt: Eine Reflexion über die Entfremdung im Zeitalter der Digitalisierung und der virtuellen Welt.
In der Schule ist es trockener Lehrstoff: Descartes’ „Meditationen“. „Ich denke, also bin ich“, so der berühmte Satz des Philosophen. Zu dieser Gewissheit kam er bekanntlich auf dem Weg des Zweifelns. Eine Methode, die heute wieder en vogue erscheint. Das liegt vielleicht am mentalen Taumel, den uns angesichts der Digitalisierung SoziologInnen und HobbyendzeitdiagnostikerInnen attestieren: Wir streamen in Portalen, wischen über Smartphones oder daten mit Apps. Sind wir noch?
Das fragt sich auch die Figur Anna. Sie sitzt auf einem Stuhl, der auf einem Podest steht, das sich wiederum im Kabeldrahtsalat verliert. Eine simple wie konkrete Illustrierung für die Descartes-Zitate und Anlehnungen, die sie in den Saal des Theaters wirft. Bin ich noch? Bin ich der Fehler? Oder ist das System der Fehler? Darüber wird bei der Jugendclub-Premiere „Systemfehler“ im Theater Unten reflektiert: Eine knapp einstündige Meditation über die Entfremdungsfallen, die uns das Zeitalter der Digitalisierung stellt. 16 Jugendliche haben aus dieser großen Frage unter der Leitung von Jens Niemeier eine dystopische Szenenfolge entwickelt.
Die Rettung ist analog
Die bereits erwähnte Anna lebt in einer digitalen Zukunft. Und sie ist dieser so überdrüssig, dass sie sich ihre eigenen Gedanken macht, sich nach unmittelbarer Erfahrung und Büchern sehnt. Nach einer Welt, in der nicht jede Tätigkeit, jedes Denkmotiv in ein virtuelles Puzzle gerückt wird, wie es die DarstellerInnen thesenartig proklamieren.
Es ist das Analoge, das hier die Sehnsucht nach Sinnlichkeit bezeichnet: Die Ballons, Jojos oder Stifte, welche die DarstellerInnen auf der Bühne betasten und beäugen, als wären sie Babys, die gerade die Welt neu entdecken. Die Haptik ist hier die Rettung vor dem Takt der Algorithmen, der so oft apokalyptisch gezeichnet wird.
An diesem Abend aber nicht ohne Humor: Etwa, als Anna fragt, wie sich denn damals die Eltern kennengelernt haben. Daraus inszenieren sie bei „Systemfehler“ Blind-Date-Szenen, in der die verkrampfte Eindeutschung des französischen Wortes rendez-vous, nämlich ein Stelldichein, sprichwörtlich in unbekümmerter Komik dargeboten wird: verzagte Wortwechsel, Situationskomik und die nötigen Running-Gags, die das Prä-Tinder-Zeitalter, das die Jugendlichen hier erforschen, als romantischen Horizont erscheinen lassen.
Lachen über die entfremdenden Zumutungen der Technik ist ein altes, beliebtes Motiv. Schon Chaplin oder Jacques Tati haben daraus sensationellen Slapstick gemacht. Dass sie es bei „Systemfehler“ nicht nur mit einem erschöpften Ich, das zurecht zu zweifeln beginnt, assoziieren, sondern schließlich auch Bilder des Vietnam-Krieges, von Trump oder Putin auf Plakaten hochhalten, ist dann doch zu überfrachtet. Was hat die Überforderung der Digitalisierung und der virtuellen Welt mit Motiven von Krieg und Autoritarismus zu tun? Aber die viel wichtigere Frage am Ende dieses Premierenabends: Wann haben uns Jugendliche auf der Bühne zuletzt so klug einen Spiegel dieser Welt vorgehalten?
:Benjamin Trilling
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