Kommentar. Ein Relikt aus vergangenen Tagen. Genau das Richtige für eine moderne Hochschulpolitik? Die schwarz-gelbe Landesregierung bringt die Anwesenheitspflicht zurück an die Hochschulen NRWs.
Die Marschrichtung der liberal-konservativen Landesregierung ist unübersichtlich: Einerseits sollen Forschung und Lehre möglichst autonom und frei sein, andererseits geht dies mit Einengung und Unfreiheit einher. Ein Widerspruch, der in Düsseldorf gern hingenommen wird. Die Abschaffung der lästigen Anwesenheitspflicht komme einem „starren Verbot“ gleich, moniert die Wissenschaftsministerin. Die neue Regelung hingegen sorge für wiedererlangte Autonomie der Hochschulen. Man modernisiere die Hochschulpolitik des Landes.
Modernisierung durch Rückschritt. Mehr kann von einer schwarz-gelben Landesregierung jedoch kaum erwartet werden. Unter dem Deckmantel der neoliberalen Optimierung katapultiert man den Lehrbetrieb an den Hochschulen des Landes wieder zurück in Zeiten überfüllter Seminarräume und altmodischer Studienbedingungen. Ein Abschluss in Regelstudienzeit sei eben nur durch ein Vollzeitstudium möglich.
Der akademische Nachwuchs muss schnellstmöglich als Kanonenfutter der Wirtschaft bereit stehen.
An der Realität vorbei
Dass die Pläne des Wissenschaftsministeriums mit der Lebensrealität der meisten Studierenden kollidieren, scheint nicht relevant zu sein. Laut neuster Erhebung des Deutschen Studentenwerks (DSW) arbeiten 68 Prozent aller Studierenden, um ihren Lebensunterhalt sichern zu können. Dass die Anwesenheitspflicht entweder mit einer massiven Verschlechterung der finanziellen Lage oder einer oftmals deutlichen Verlängerung der Studienzeit einhergeht, interessiert indes niemanden auf der Regierungsbank.
Die Anwesenheitspflicht ist ein Relikt längst vergangener Tage, sie passt nicht zu einer modernen Hochschullandschaft und sie passt nicht zum Recht der Studierfreiheit.
Es gibt keinen vernünftigen Grund, die Präsenzpflicht wieder an NRW-Hochschulen zu bringen. Sie dient nicht der Verbesserung der Lehre, sie dient nicht der freien Entfaltung und freiwilligen Wissenserlangung der Studierenden. Die Wiedereinführung ist einzig ein politisches Zeichen, das sagen soll: Wir machen es besser! Es ist eine Trotzhaltung einer trotzigen PolitikerInnengruppe rund um den oft beleidigten, stets besserwisserischen Landesvater Armin Laschet. Dass nichts verbessert wird, dass die Rahmenbedingungen des Studiums verschlechtert werden, wird schon bald sichtbar sein. Doch dann wird es für viele Studierende schlimmstenfalls zu spät sein, sie werden unnötig viel Zeit in Seminarräumen und Hörsälen verbracht haben.
Kein Schritt vorwärts, zwei zurück
Es ist komisch und tragisch zugleich, wenn von der Modernisierung der Hochschullandschaft gesprochen wird, man aber gleich zwei Überreste vergangener Zeiten zu Tage fördert. Nach der Wiedereinführung der Studiengebühren (für Nicht-EU-Studierende) bahnt sich nun ein weiterer Dino den Weg zurück an die Unis. Hierdurch werden Hochschulen wieder zu den Wissensfabriken mit schlecht geölten Rädern, die sie einst waren, nicht jedoch zu Orten des freien und selbstbestimmten Lernens, die sie sein müssten. Optimierung statt optimaler Bedingungen also. Ganz im Sinne des Kapitalismus hallt es aus Düsseldorf: nach uns die Sintflut!
:Justinian L. Mantoan
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