Premiere. Schrill, grotesk und lärmend: Hermann Schmidt-Rahmer transportiert im Schauspielhaus mit „Volksverräter!!“ ein Stück von Henrik Ibsen in die Gegenwart. Rechte WutbürgerInnen gehen gegen die Elite auf die Barrikaden.
Selbst dafür geht ihr die Luft aus. Irgendwann will dieses „Deutschland“ beim Anstimmen der Nationalhymne nicht mehr über die Lippen gehen. Gerade hat diese hysterische Wutbürgerin noch die verräterische „Fotze“ der Politik angekreischt. Jetzt liegt sie zwischen den ersten Stuhlreihen. Erschöpft. Zusammengebrochen. Trotz all der Wut.
Ihr fehlt die Stimme. Und dieses Problem ist in Hermann Schmidt-Rahmers Stück „Volksverräter!!“ im wahrsten Sinne des Wortes hausgemacht. Denn der Riss, der durch die Gesellschaft geht, wie es eingangs düster beschworen wird, spiegelt sich auf der Bühne in den zwei Interieurs wider: Auf der einen Seite die heimatliche Wohnstube. Eicherustikal; Lübzer-Bier und Blutwurst stehen auf dem Tisch. Nicht weniger kitschig die vier Wände, auf die sich die Wut lenkt: ein schniekes Großstadtappartment, bunt und hip. Man ist tolerant und kosmopolitisch.
Dass sich das Establishment als linksliberal gibt, sorgt dafür, dass die Rebellion des „Volkes“ von rechts kommt. Für diesen Konflikt greift Schmidt-Rahmer im Schauspielhaus auf Henrik Ibsens
Gesellschaftsdrama „Ein Volksfeind“ zurück. Der darin behandelte Streit des Kurarztes Stockmann mit der BürgerInnenschaft darüber, ob das Wasser seines Kurortes verseucht ist, wird im hysterischen Gegenwartsdiskurs platziert.
Bühne als Schlagwortmaschinerie
Schnell nimmt der Konflikt an Fahrt auf: Die Bürgermeisterin (Veronika Nickl) als Verkörperung der Elite versucht, zu besänftigen. Der wütende Kurarzt Stockmann (Roland Riebeling) als Verkörperung des Globalisierungsverlierers fürchtet um seine Existenz und kämpft paranoid für die Wahrheit. Gutachten gegen Gerüchte. Arrogante Politik gegen den wütenden Mob.
Die Konstellation von Ibsens Stück bleibt im Grunde bestehen. Das Material: Wütende Parolen – auf der Straße, auf Demos gefilmt. Hatespace-Fetzen auf der Leinwand. Genauso wie der offiziell für den Wahlkampf ausgebende „Mut zur Wahrheit“-Slogan der AfD über der
Bühne flimmert. Auf der anderen Seite eine arrogante Elite, die blind für das zu sein scheint, was da aus den Fugen gerät. „Ich glaube, der Kapitalismus hat entdeckt, dass er die Demokratie nicht mehr braucht“, warnt die Tochter der Bürgermeisterin.
Über 160 Minuten wird an diesem Abend auf der Bühne eine Schlagwortmaschinerie angekurbelt, in der Diskursfetzen bis kurz vor der Ermüdung in einem lautstarken Wortduell verhandelt werden. Schlagworte wie der „große
Austausch“ oder „Überfremdung“. Debatten wie die Frage, ob die Linke vor lauter Minderheitenrechte den weißen Arbeiter vergessen habe, im Opernformat (das immer für das Selbstverständnis der Klasse galt, die hier dem Untergang geweiht scheint) als Arie in den Raum gefiepst. Vom Ende des Systems wird hier gekreischt. Schrill und lärmend. Bis der rebellierende Kurarzt, optisch angelehnt an Autokrat Trump, fest im Sattel der Macht sitzt. Eine Witzfigur, die Dekrete unterschreibt und pöbelt: „Die Wahrheit wird siegen“. Das Ende der Demokratie im pompösen Glamour: stumpfsinnig wie selbstherrlich. Der Abgesang darauf kann nicht anders untermalt werden als mit dem, was schließlich als Kommentar auf die Parolen ins Mikro gedröhnt wird: lautes Achselfurzen.
:Benjamin Trilling
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