Podiumsdiskussion. Was bedeutet das Referendum zur Änderung der Verfassung für die Türkei, für die deutsch-türkischen Beziehungen? Diese und andere Fragen wurden vergangene Woche im Studio 108 in Bahnhof Langendreer thematisiert.
Die Grüne Fraktion und die Liste Vielfalt im Rat veranstalteten eine Podiumsdiskussion zur Türkeipolitik. Zunächst gab Caner Aver von der Stiftung Zentrum für Türkeistudien und Integrationsforschung (ZfTI) einen Überblick, welche Folgen das Referendum mit sich bringt. Diese schränke das parlamentarische Gegengewicht auf das Präsidentenamt ein, beispielsweise durch das Verunmöglichen von Misstrauensvoten gegenüber MinisterInnen erklärt Aver. Für die Zukunft der Türkei hat das Referendum Folgen auf vielen Ebenen. Aver spricht von eingeschränkter und ideologisierter Presse- und Meinungsfreiheit und einer Machtkonzentration innerhalb des Präsidentenamts in der Türkei. Aber auch auf der internationalen Ebene, zum Beispiel im Hinblick auf die EU-Beitrittsverhandlungen der Türkei, hat das Referendum Folgen. Aver fordert, dass das neue politische System in Bezug auf die Kopenhagener Kriterien, die von jedem Beitrittskandidaten der EU erfüllt werden müssen, erneut überprüft werden. Zu diesen gehören auch die Menschenrechtswahrung und Schutz von Minderheiten. Frithjof Schmidt, Mitglied des Bundestages, erklärt wie mit Erdoğan umgegangen werden müsse: „Wir als Demokraten müssen mit ihm so umgehen, wie wir mit Diktatoren umgehen. Wir müssen sie kritisieren, wir müssen ihre Legitimation in Frage stellen.“ Schmidt führt fort, dass er von Merkel eine „klare Kante“ im Bezug auf die weitere wirtschaftliche Zusammenarbeit mit der Türkei erwarte.
Gründe und Lösungen?
Aver erklärte, dass DeutschtürkInnen Sympathien für die AKP hätten. Die Partei regiert seit 2002 und die wirtschaftliche Entwicklung unter ihr sei positiv gewesen. Aver vermutet außerdem die langanhaltende Berichterstattung in den deutschen Medien und das „Erdoğan-Bashing“ führe zu emotionalen Diskussionen. Die deutschen Medien hatten Erdoğan in der Vergangenheit häufig als Diktator dargestellt. Türkische Medien verglichen Merkel mit Hitler. Darüber hinaus führte das Wahlkampfverbot dazu, dass sich einige DeutschtürkInnen eingeschränkt fühlten, so Aver. Im Vergleich zu anderen Ländern, wie zum Beispiel in den USA und Kanada, in denen TürkInnen gewählt haben, gab es in Deutschland sehr viel mehr WählerInnen, die für das Präsidialsystem gestimmt haben.
„Es ist ganz wichtig einen Zivildiskurs zwischen Demokratinnen und Demokraten zu haben“, so Schmidt. So müsse die deutsche Politik mit aktiven türkischen Gemeinschaften über Demokratie und Diktatur reden, damit klar wird, dass es um diesen Konflikt gehe und nicht um einen Konflikt zwischen Deutschland und der Türkei. Im Publikum saß auch Dr. Bern Liedke, der sich als Türkei- und Intergrationsexperte vorstellte. Nach der Diskussion erklärte er, dass Deutschland sich auf örtlicher Ebene verbessern müsse. Dazu gehöre, dass Gruppen nicht mehr unterteilt werden in Türkischstämmige oder KurdInnen. „Das sind Menschen, die zu uns gehören.“ Liedke merkte an, dass seiner Meinung nach bei der Veranstaltung zu wenig über das Verhältnis von der Mehrheitsgesellschaft zu Minderheiten insgesamt geredet wurde. „Wir müssen noch deutlicher reden über das Thema täglicher Rassismus. Wir sollten weniger auf die Türkei schauen, sondern mehr auf unsere Gesellschaft, uns hier fokussieren, damit haben wir genug zu tun.“
:Katharina Cygan
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