Premiere. Subversiv und feministisch: Die RUB-Studierenden Sina Geist und Leonie Rohlfing sezieren in der Premiere ihres Stücks „Hystopia“ im Theater Unten das Patriarchat als ideologisches Relikt. Auch wenn so manche Passagen nach spröder Seminarstube klingen.
Was bleibt uns denn anderes übrig? „Ihr sitzt da und glotzt und gafft, ihr Voyeure!“, so der Vorwurf. Ist das routinierte Publikumsbeschimpfung? Postdramatische Provokation? Das Publikum starrt jedenfalls in totenblasse Gesichter, umgeben von einem kargen Bühnenbild, die AkteurInnen tragen weiße Kittel oder goldene Fummel. Ein dystopischer, zeitloser Raum umrahmt die Szenencollage von „Hystopia“.
Das Projekt der beiden RUB-Student-innen der Theaterwissenschaft Sina Geist und Leonie Rohlfing wurde im Rahmen der Regiewerkstatt des Jungen Schauspielhauses am 5. Juli aufgeführt. Die Idee: Talente sollen die Möglichkeit erhalten, unter professionellen Bedingungen ihre erste Regiearbeit zu verwirklichen.
Wie sehr bestimmen stereotype Erwartungshaltungen und hysterische Erscheinungsformen den heutigen Alltag? Das verhandeln Geist und Rohlfing im Theater Unten. Mit ins Mikrofon gehauchten Anrufungen: Du musst Mutter werden, dich um deinen Mann kümmern und natürlich immer sexy sein. Mit polemischen Ansagen: „Eine Frau hat zwei Lebensfragen: Was darf ich kochen, was darf ich anziehen?“
Dass das nicht immer zeitgemäße Diagnosen sind, versichert auf der Bühne ein patriarchalisches Fundamentalisten-Maskottchen, das im grauen Kittel vor Obszönitäten und Anzüglichkeit warnt – in der Kunst, in der „Weiblichkeit“, whatever.
Die Provokationen zünden nicht
Neu ist das nicht. Eher die Diskurs-Ursuppe, in der auch AfD-StammtischparolendrescherInnen und andere Hängengebliebene löffeln, wenn sie uns die ideologischen Brocken entgegen sabbern, die eigentlich aus dem 19. Jahrhundert (als die Hysterie erfunden wurde) stammen, aber von diesen Herrschaften nie richtig verdaut wurde. Die politische Luft ist heute nicht immer besser. Daraus also einen Testfall auf der Bühne zu inszenieren, ist aktueller denn je – solange sich das wahre Theater im Politikbetrieb abspielt. Daher das Spiel mit den ZuschauerInnen: „Die Hysterie ist nichts ohne die Blicke des Publikums“. Haltung, Posse bewahren, das ist das ideologische Schauspiel der Hysterie, welches das Theater vor Augen führen kann.
Das Motiv hat daher Konjunktur auf den Bühnen: Karin Beier inszenierte am Deutschen SchauSpielHaus „Hysteria – Gespenster der Freiheit“ nach Motiven des BürgerInnenschrecks Luis Buñuel. Während Beier gegen hysterische Ängste vor Überfremdung und Flüchtlingsströme ausholt, probten zuletzt Punk-Aktivistinnen im Essener Grillo-Theater in der Aufführung „Pussy Riots“ den lauten Aufstand. Subversiv und feministisch. Und die Richtung stimmt auch bei „Hystopia“: Eine Bloßstellung patriarchalischer Verhältnisse. „Wie im Himmel wie in der Fotze“ schleudern sie auf der Bühne provokant und gebetsartig in den Raum. Aber eine Revolte gibt es nicht. Die
„Fotze“ wird hier eher als Diskurs-Brennpunkt verhandelt. Vieles wirkt überfrachtet mit Fetzen aus dem akademischen Diskussionsbetrieb. Als hätten sich ein räsonierender Jelinek-Monolog, der gesellschaftliche Missstände zerpflücken will, und ein ambitionierter Hipster-Redeschwall, der auf einer Party angeben will, verabredet, aber dann doch verpasst. Die Provokationen zünden nicht. Da kann auch das beste Publikum nur noch baff glotzen.
:Benjamin Trilling
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