Bild: Von Loyalität und Identität: Prof. Koller demonstriert anhand von Einzelbeispielen identitätsstiftende Prozesse. , Historiker veranschaulichen die Migration aus Polen und Ungarn ins Osmanischen Reich Foto: lor

Geschichte. Im Rahmen der Reihe „Flucht und Migration in welthistorischer Perspektive“ betrachten HistorikerInnen im Blue Square Migration. Vergangenen Freitagabend lag der Fokus auf polnischen und ungarischen MigrantInnen im Osmanischen Reich.

Mit der Niederschlagung der Aufstände in Kongresspolen 1830 und in Ungarn 1848 kam es zu einer enormen Exilbewegung – viele der ExilantInnen gingen in das Osmanische Reich, wo sie oftmals Teil der dortigen Gesellschaft wurden: durch Konversion zum muslimischen Glauben oder durch Heirat. Namhafte Beispiele sind Feldherr Ömer Pascha Latas oder dessen rechte Hand Iskender Bey.

Diese und weitere Männer prägten das gesellschaftliche und militärische Leben im 19. Jahrhundert im Osmanischen Reich, sei es durch Wissens- oder Ideentransfer. Markus Koller, Professor an der RUB und Inhaber des Lehrstuhls für Geschichte des Osmanischen Reiches und der Türkei, stellte im Rahmen der Vortragsreihe „Flucht und Migration in welthistorischer Perspektive“ Loyalitäts- und Identitätskonflikte beispielhaft an polnischen und ungarischen MigrantInnen im Osmanischen Reich vor. 

Die trotz Brückentag und Sommerwetter erschienenen GästInnen lernten schnell, dass retrospektiv kaum noch zu erkennen ist, welche Handlung zur Adaption der Menschen aus einer inneren Überzeugung heraus geschahen oder nur als Mittel zum Zweck dienten: „Ich kann Ihnen in vielen Fällen nicht klar sagen, was Konstruktion ist und was innere Haltung.“ Durch die schwierige Quellenlage sei vielfach eine Aussage dazu kaum möglich und rein spekulativ. 

Realität oder nicht?

Eines der vielen Beispiele ist Ömer Pascha Latas, der einer der bedeutendsten osmanischen Heerführer des 19. Jahrhunderts und ein an der Militärgrenze geborener orthodoxer Serbe gewesen ist. Er spielte eine wichtige Rolle in den Krimkriegen gegen das russische Zarenreich (1854-1855), ist zuvor zum Islam konvertiert. Seine rechte Hand, Iskender Bey, war ein ehemals polnischer Offizier, der am Januaraufstand von 1830 teilgenommen hat und mit anderen ExilantInnen der militärischen und gesellschaftlichen Elite ins Ausland gegangen ist, ein Teil nach Paris, wo sich die Gruppe „Hotel Lambert“ etablierte. Eine zweite Exilgruppe in Istanbul versuchte durch Einflussnahme auf die osmanische Politik eigene Ziele durchzusetzen. Iskender Bey unterhielt Verbindungen zu dieser Gruppierung. Auch Mustafa Celâleddin Paşa, eigentlich Konstanty Borzęcki, war ein ehemals polnischer Offizier. Er heiratete die Tochter Pascha Latas und somit in die osmanische Elite ein und transportierte mit dem Werk „Les Turcs anciens et modernes“ Inhalte der westlichen OrientalistInnen zur Herkunft der OsmanInnen in seine neue Heimat – selbst Atatürk hat es gelesen.

Die vorgestellten Beispiele zeigten zum einen den individuellen Einfluss, den die MigrantInnen des 19. Jahrhunderts bis in das 20. Jahrhundert hatten, aber zum anderen auch „transnationale Exilantenstrukturen, die das Osmanische Reich mit weiten Teilen Europas verband“, so Koller als Resümee. 

:Andrea Lorenz

 

Lest auch den Essay zur gesellschaftlichen Offenheit und Pluralität im Osmanischen Reich.

 

 

Der nächste Vortrag der Reihe zum 
Thema der afrikanischen Zwangsmigration nach Amerika findet am 23. Juni um 18 Uhr im Blue Square statt.

 

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