Rezension. Der emeritierte RUB-Professor Gunter Scholtz zeigt in der „Philosophie des Meeres“ auf, wie sehr das menschliche Denken mit dem Meer zusammenhängt: Keine Spezialphilosophie, sondern eine lehrreiche Lektüre, die auch aktuelle ökologische Probleme darstellt.
Für die Studierenden ist es sicherlich eine Überraschung: Als der Philosoph Georg Wilhelm Friedrich Hegel 1818 in Berlin seine Antrittsvorlesung hält, beschreibt er die Philosophie als eine Welt der Gedanken, die einem Sprung „in einen uferlosen Ozean“ gleiche. Der große Systemphilosoph ist nicht der erste, dessen Ausführungen sich am Meer abarbeiten.
Gunter Scholtz stellt in seinem jüngst im mare-Verlag erschienenem Buch Denker von der Antike bis ins 20. Jahrhundert vor, die ihre Theorien in der Auseinandersetzung mit dem Meer entwickelten. „Das riesige große Meer wird zum Bildspender, um sich selbst zu verstehen“, sagt der emeritierte RUB-Professor der Philosophie im Gespräch mit der :bsz.
Es steht für den Beginn der Philosophie. Berühmt ist etwa Heraklits Aussage: „Man kann nicht zweimal in denselben Fluss steigen“. Heraklit veranschaulichte mit diesem Bild seine radikalen Gedanken eines permanenten Wandels, die später Theoretiker wie Hegel oder Marx inspirierten. Doch schon vor Heraklit suchte Thales im Wasser das Grundprinzip allen Seins. Das polarisierte auch früh: Platon etwa war dem Meer wegen des unsittlichen Seehandels eher abgeneigt. Eine solche Polarisierung prägte verschiedene Diskurse: „Das Meer konnte interpretiert werden als das, was die Menschen einigt, aber auch das, was sie trennt“, erzählt Scholtz. So streift er die Flut an utopischen Insel-Romanen, die in der Neuzeit erscheinen oder Kants ästhetische Ausführungen über das Erhabene.
Brisante und aktuelle Themen
Was Scholtz mit der „Philosophie des Meeres“ vorlegt, ist daher keine Spezialphilosophie, sondern eine allgemeine Einführung, die StudienanfängerInnen wie Fortgeschrittenen großen Lese- und Denkspaß bereitet. Denn gerade von der Spezialisierung im eigenen Fach, die besonders in Bochum auf die Erkenntnisse aus der Hirnforschung oder der analytischen Philosophie fokussiert ist, sei er nicht immer begeistert: „Es gibt ein breites Orientierungsbedürfnis, die Philosophen spezialisieren sich zu sehr“, meint Scholtz. „Ich habe auch immer gerne Einführungsvorlesungen gehalten. Der Punkt war, dass es mir selber was brachte.“
Über den Tellerrand schauen, lautet die Devise. Und das macht auch die „Philosophie des Meeres“ so lesenswert. Denn neben einer Einführung in die Klassiker umreißt Scholtz aktuelle gesellschaftliche und ökologische Probleme, die eng mit dem Meer verknüpft sind: Wem gehören die Gewässer? Gibt es Besitzrechte für das Meer? Oder dessen Ressourcen? Scholtz geht diesem Problem mit Hugo Grotius und anderen neuzeitlichen Naturrechtlern nach. Und das nicht bloß historisch: „Sie hat schon wieder Aktualität. Grotius wehrt sich gegen die Privatisierung des Meeres.“
So geht es auch um die Ausbeutung und Verschmutzung des Meeres, das in der philosophischen Auseinandersetzung brisant bleibt. Scholtz zeigt das unterhaltsam und lehrreich auf.
:Benjamin Trilling
Gunter Scholtz:„Philosophie des Meeres“, mare Verlag, 288 Seiten, 26 Euro
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