Kommentar. Ob Politik, Gesellschaft oder die Familie in kleiner Runde: Obwohl Zahlen und Forschung für Mehrsprachigkeit und deren Vorteile sprechen, wird diese immer noch zu wenig gefördert. Ein Umdenken muss her! Embrace your bilingualism!
Ein x-beliebiger Kindergarten, irgendwo in NRW: Kinder sind dazu angehalten, bitte nicht eine andere Sprache als Deutsch zu verwenden.
Ein x-beliebiger Spielplatz: Zwei Mütter hören auf, ihre Sprache zu sprechen, wenn sie merken, dass ein Nicht-Muttersprachler dieser Sprache auf sie zu kommt.
Die Liste ließe sich endlos lange weiterführen. In einem Land, indem 20 Prozent der BundesbürgerInnen mehr als eine Sprache von Haus aus sprechen, ist es verpönt, seine Bilingualität im öffentlichen, aber auch im privaten Raum auszuleben. Viel zu sehr klammert sich die Gesellschaft samt Politik an die antiquierte Vorstellung aus dem 19. Jahrhundert, Mehrsprachigkeit führe zu Schwierigkeiten.
KeineR hat ’ne Ahnung
Obwohl die Forschung zu ausgefeilten Erkenntnissen gekommen ist, scheitert die Aufarbeitung dieses Themas gesellschaftlich. Mitschuld: Die Politik, die immer noch davon auszugehen scheint, dass Monolingualismus die Norm sei und offensichtlich die Entwicklung der letzten Jahrzehnte verschlafen hat. Anstatt den öffentlichen politischen Diskurs darauf zu lenken, glauben noch immer viele, dass das zweisprachige Aufwachsen der Kinder nicht funktionieren kann: Am Ende lerne das Kind beide Sprachen nicht richtig, es würde Schwierigkeiten im Kindergarten oder in der Schule geben … Studien zeigen ein anderes Bild. In einem Fallbeispiel wurde überprüft, inwiefern bilinguale Kinder in Aussagen die beiden Muttersprachen mischen –Fazit: nur 3 bis 5 Prozent.
Emotionen und Identität
Was beinahe genauso fatal ist: Die Scham, die einige Menschen bei ihrer eigenen zweiten Muttersprache zu haben scheinen. In der Gesellschaft existiert eine normative Differenz zwischen Sprachen wie Englisch, Französisch oder Schwedisch und den sogenannten MigrantInnensprachen Polnisch, Arabisch, Türkisch oder Russisch. Sprache hängt sehr stark mit Identität zusammen: Fühle ich mich nicht wohl, meine zweite Muttersprache zu sprechen, komme ich auch auf der Persönlichkeitsebene zu einem Identitätskonflikt.
Aus eigener Erfahrung kann ich nur Folgendes dazu sagen, liebe Eltern, die es gut meinen und liebe Politikmachende, die es nicht besser wissen wollen: Am Ende tragen die Kinder die Folgen. Diese sehen in einem möglichen Szenario dann ungefähr so aus: Jahrelang eingeschränkte Interaktion mit der Verwandtschaft im anderen Land aufgrund mangelnder Sprachkenntnisse und mühevolles Nachlernen und Ausbauen eventuell vorhandener kümmerlicher Sprachkenntnisse, die doch zufällig vorhanden sind, sowie Verleugnung der eigenen Teilidentität.
Multilingualismus hat in meinen Augen nur Vorteile, sei es persönlich, kognitiv oder wirtschaftlich. Natürlich ist die mehrsprachige Erziehung eines Kindes nicht einfach und erfordert eine umfassende Interaktion mit dem Sprössling. Eltern müssen aber vonseiten der Gesellschaft und der Politik das Gefühl erhalten, dass es der richtige Weg ist. Ergo: Auseinandersetzen mit Bilingualität. Denn es ist nicht mehr die Frage, ob sie sinnig ist, sondern wie wir diese fördern!
:Andrea Lorenz
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