Der aufhaltsame Aufstieg der AfD: Volker Lösch inszeniert in „Das Prinzip Jago“ die namensgebende Figur des Othello-Gegenspielers als Demagogen, der in der Flüchtlingsdebatte auf rechtspopulistische Manipulation setzt.
Den Gerüchten auf Twitter, der Hetze vom rechten Rand ist Othello nicht gewachsen. „Die Wahrheit passiert immer noch analog“, sagt Shakespeares tragische Figur, die in der Inszenierung von Volker Lösch Ulrich Sonntag heißt und ein altmodischer, linksliberaler Chefredakteur eines Essener Fernsehsenders ist – ein „Gutmensch“. Und überhaupt, Wahrheit?
In der Essener Innenstadt protestieren Geflüchtete. Warum? Darauf kommt es hier nicht an. Jago, Othellos Gegenspieler und eigentlicher Protagonist (der hier Nick Walter heißt), streut in den sozialen Netzwerken das Gerücht eines von „Asylanten“ entführten Kindes. Heimlich natürlich. „Nur im Zentrum des Shitstorms gibt es eine Stille.“ Draußen – das wird auf der Leinwand eingeblendet – gehen die Rechten auf die Straße, die „AfE“ (Alternative für Essen) wird immer stärker. Dass altbekannte Schurken ihr eigenes Spin-Off bekommen, hat sich in der Filmindustrie bereits bewährt, weniger jedoch auf der Bühne. „Das Prinzip Jago“ setzt das für die berühmteste Figur des Intriganten in der Weltliteratur um. Nur ein paar Tweets braucht es, und die politische Macht gerät ins Wanken.
(Selbst-)Zerstörung als Prinzip
Lösch ist einer der politischsten Theatermacher Deutschlands, der die Bühne zur Plattform von Sozial- und Gesellschaftskritik macht. Zuletzt provozierte er im vergangenen Herbst mit einem Stück über Pegida und AfD. Für „Das Prinzip Jago“ werden auf einer großen Leinwand Tweets („Abknallen das Pack“ gehört zu den harmlosesten Äußerungen) eingeblendet, BürgerInnen äußern sich in kurzen Interviews auf der Straße wütend bis offen rassistisch über Geflüchtete.
Im Fokus dieses Rechtsrucks steht die so oft gescholtene „Lügenpresse“: Das Bühnenbild ist vor einem green screen dem „heute journal“ entlehnt – der Raum, in dem die Intrigantenfigur Jago (den Stefan Diekmann überzeugend als eine Art bösartigen Engel gibt, der alles zu überblicken scheint) das Phänomen des Rechtspopulismus als Zusammenspiel von Medien, Macht und Manipulation ins Licht setzt.
Das Theater hinkt hier dem eigentlichen – gesellschaftlichen – Drama hinterher: Der braune Mob randaliert, ein Frauke-Petry-Verschnitt bekommt die mediale Plattform und die politische „Mitte“ übernimmt Sprache und Parolen der RechtspopulistInnen. Trotzdem: Politisches Theater, wie es kaum näher an den gesellschaftlichen Eruptionen sein kann.
Lösch legt seinem Jago ein Zitat von Walter Benjamin in den Mund: „Ich kenne nur eine Parole: Platz schaffen. Nur eine Tätigkeit: Räumen!“ (Selbst-)Zerstörung als Prinzip des Neoliberalismus. Am Ende ist Platz für die RechtspopulistInnen. Othello hat da schon längst das Feld geräumt – und mit ihm auch ein gewissenhafter Journalismus und liberale Werte.
ZEIT:PUNKTE
Die nächste Aufführung ist am 9. Oktober, 16 Uhr.
:Benjamin Trilling
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