Bild: Jörg Baberowski kritisierte in seinem Vortrag über „Räume der Gewalt“: „Wir wollen von Dynamik und Eigenlogik der Gewalt nichts wahrhaben.“, Historiker Jörg Baberowski sprach über Kontakte und Konflikte in Osteuropa Foto: joop

„Das wird kein angenehmer Abend“, warnte Professor Jörg Baberowski zu Beginn seines Vortrags am 10. Februar in der Bochumer Uni-Bibliothek. Im Rahmen des Kolloquiums „Verflechtungsgeschichten – Kontakte und Konflikte im osteuropäischen Raum“ hatte das Osteuropa-Kolleg NRW den renommierten Historiker eingeladen. Dieser sprach jedoch nicht über sein Spezialgebiet Stalinismus, sondern entwarf unangenehm anzuschauende „Räume der Gewalt“.

In seinem Vortrag, in dem Baberowski die Thesen seines 2015 erschienenen gleichnamigen Buches umriss, wollte er mit einem Irrtum aufräumen, an dem lange in Frieden lebende Gesellschaften leiden. „Wir halten Gewalt für eine Anomalie“, benannte Baberowski den Denkfehler. Dabei seien Menschen zur Gewalt ebenso fähig wie zur Empathie.

„So sehr haben wir uns in Friedfertigkeit eingerichtet, dass wir uns Menschen in Kriegsgebieten gar nicht vorstellen können“, sagt Baberowski. „Wir halten es für selbstverständlich, nicht ermordet zu werden, wenn wir morgens das Haus verlassen.“ Die von Baberowski skizzierten Räume der Gewalt beinhalten Situationen, in denen solche Selbstverständlichkeiten aufgehoben sind. Für Menschen in Kriegsgebieten sei Gewalt Teil der Normalität, des Erwartbaren, an das sie sich gewöhnen, um zu überleben.

Gewalt folgt Eigenlogik

„Die Situation ist viel entscheidender für das, was sie tun, als die Persönlichkeitsmerkmale, die sie mit in die Situation bringen“, erklärte Baberowski die Wichtigkeit, solche Räume der Gewalt genau zu beschreiben, was er auf Nachfrage mehrfach konkretisierte. Mit Beispielen wie U-Bahn-Schlägereien oder den Folterungen in Abu Ghraib sowie Zitaten aus Notizen eines Wehrmachtssoldaten und Aussagen eines KZ-Kommandanten versuchte Baberowski darzustellen, wann und wo Gewalträume entstehen. Wenn dort die normalen Regeln aufgehoben sind, bedarf Gewalt keiner Begründung mehr.

„Wir wollen nicht wahrhaben, dass Menschen Lust daran haben, sich an Wehrlosen zu vergreifen“, fuhr Baberowski in seiner Kulturkritik fort. „Wir haben es vergessen, weil wir in Räumen leben, die von Recht strukturiert sind.“

Allgegenwärtige Gefahr?

Wie fragil diese Ordnungssysteme jedoch seien und wie schnell Gewalt wieder zu einer alltäglichen Handlungsressource werden könne, dafür wolle er die Sinne schärfen, sagte Baberowski an späterer Stelle. Das staatliche Gewaltmonopol verherrlichte er dabei nicht, es könne ebenso dem Schutz vor Gewalt wie auch für deren Legitimation dienen. Baberowskis ernüchterndes Fazit: „Wir können nicht hoffen, dass Gewalt verschwindet, sondern dass sie beherrschbar bleibt“.

:Johannes Opfermann

0 comments

You must be logged in to post a comment.