Bild: Die Stiff Little Fingers spielten viel Bekanntes, aber auch einige neue Nummern vom Album „No Going Back“., Punkrock aus Belfast: Stiff Little Fingers spielten im Turock neben Klassikern auch Songs vom neuen Album „No Going Back“ Foto: joop
„Go, get it now.“ – Mit der letzten Zeile des kämpferischen Evergreens „Alternative Ulster“ setzten die Stiff Little Fingers vergangenen Donnerstag den Schlussakkord im Essener Turock. Zuvor hatten sie das größtenteils gesetzte Punk-Publikum gute zwei Stunden mit Klassikern, ein paar Raritäten und neuen Songs unterhalten. Es wurde eifrig mitgesungen und getanzt, gegen Ende konnte man in der Metaldisco sogar von Pogo ähnlichen Zuständen sprechen.
 
Dass bei einer Band, die – bis auf eine vierjährige Trennung – seit 1977 durchgehend besteht, das Publikum bis in die Ü50-Altersgruppe reicht, verwundert ebenso wenig wie der Umstand, dass die bekanntesten Songs als Rausschmeißer am Ende der Setlist stehen. Oder anders formuliert, sie sind die nostalgischen Höhepunkte, auf die ein solcher Gig fast zwangsläufig zusteuert, bei denen es am schönsten ist zu gehen. Dass die Fans, für die eigentlich kein anderer SLF-Song das Konzert befriedigend abschließen konnte, dann noch Zugaben forderten, hatten die Belfaster Musiker um Sänger Jake Burns in Sachen Dramaturgie alles richtig gemacht.
Dabei war der Auftakt mit dem „Steigerlied“ nicht eben gelungen. Denn als Support anstelle von 2nd District war kurzfristig El Fisch eingesprungen, der das gleiche Terrain beackerte wie sonst mit seiner Band Lokalmatadore: Saufen, Frauen und Fußball. Suboptimal, um auf die sozialkritischen Fingers einzustimmen, und so sprang der Funke nicht über.
 
Weder Helden noch Zinnsoldaten
 
Das änderte sich schlagartig, als die Stiff Little Fingers auf die Bühne kamen – neben Leadgitarrist und Sänger Jake Burns sind das Bassist Ali McMordie, Gitarrist Ian McCallum und Drummer Steve Grantley. Vom ersten Riff an hatten die Punkrocker der ersten Generation das Publikum im Griff und hauten erst einmal einen Klassiker nach dem anderen raus: Dabei kritisierten sie Heldenverehrung– „Nobody’s Hero“ – und verdammten den Militärdienst – „Tin Soldiers“ – oder ließen wie in „Roots, Radicals, Rockers and Reggae“ die Reggae-Wurzeln des Punks so eingängig aufleben, dass die ZuschauerInnen gezwungen waren mitzutanzen. Später folgten unter anderem das – wie SLF stets gestehen – von The Specials geklaute „Doesn‘t Make it Alright“ und eine seltene Nummer, der Lovesong „Barbed Wire Love“. Da durfte sogar Bassist McMordie ans Mikro, allerdings nur bei den Back-Up-Vocals im Refrain.
 
Die vielleicht wichtigste Zeile 
 
Die Zeitreise durch die Bandgeschichte scheint ein absichtlicher Widerspruch zum Titel des neuen Albums „No Going Back“, von dem auch ein paar Songs gespielt werden. Vielleicht ist es auch Ironie, denn „Full Steam Backwards“ und „When We Were Young“ klangen vom Titel her recht nostalgisch. Großen Beifall erntet Jake Burns mit seiner Ansage zu „My Dark Places“, bei dem er auf seine eigenen Depressionen hinweist: „There’s still a stigma attached to it. Fuck that!“
SLF, die als erste Band nach den Pariser Anschlägen dort auftraten, um ein Zeichen zu setzen gegen das Klima der Angst, das sie aus ihrer Jugend in Belfast nur zu gut kennen, vergaßen auch nicht ihre vielleicht wichtigste Zeile zu singen: „They take away our freedom in the name of liberty“, aus dem letzten Song vor der Zugabe – „Suspect Device“ – ist angesichts von Terror- und Sicherheitsdebatten aktueller denn je. 
 
:Johannes Opfermann

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