Der VfL Bochum habe es schwer, sagt Sporthistoriker Andreas Luh. Trotz des aktuellen Erfolgs stehe der Verein stets im Schatten der Rivalität der beiden großen Nachbarn Schalke 04 und Borussia Dortmund, So weit kann ihm das Bochumer Publikum bei seinem Vortrag zu eben jener Rivalität am 9. September im Blue Square noch folgen – die nächste These des Sportwissenschaftlers sorgt jedoch für Diskussionen.
„Das Revierderby gibt es gar nicht!“ – mit dieser Behauptung sorgt Sporthistoriker Luh gleich zu Beginn seines Vortrags für verwirrte Gesichter. Das Aufeinandertreffen von Dortmund und Schalke, im Ruhrpott der Höhepunkt des Fußballjahres – ein Spiel wie jedes andere? Tatsächlich, so Luh, war die Beziehung zwischen dem BVB und Schalke lange Zeit eher freundschaftlich geprägt.
Luh untermauert seine These mit zahlreichen Anekdoten und blickt beispielsweise zurück auf die 1930er-Jahre, in denen Schalke gleich mehrmals Deutscher Meister wurde. „Nach dem Gewinn der Meisterschaft 1934 wurden die Schalker in Dortmund quasi aus dem Zug gezerrt und mussten sich ins Goldene Buch der Stadt eintragen“, erzählt Luh, denn der Triumph sei damals auch in Dortmund frenetisch bejubelt worden.
Fußballrivalitäten – ein Teil der Identität
Ein im Jahr 1974 für den damals finanziell angeschlagenen BVB ausgetragenes Freundschaftsspiel der beiden Vereine beweist ebenfalls, dass die angebliche historische Feindschaft wohl tatsächlich eher ein erst in der medialen Nachbetrachtung entstandener Mythos ist. Im Publikum werden einige Proteststimmen laut, denn Lokalrivalitäten will sich niemand nehmen lassen – auch nicht die Gäste, deren Herz gar nicht für die Ruhrpottvereine schlägt. „Wären unsere Spiele gegen den 1. FC Köln oder Alemannia Aachen Ihrer Definition nach dann auch keine Derbys?“, fragt ein Zuhörer, der sich als Fan von Borussia Mönchengladbach zu erkennen gibt.
Tatsächlich, so Luh, sei ein Derby immer eine Begegnung zwischen Vereinen, die für sich in Anspruch nehmen, eine ganze Region zu vertreten. Während Luh zufolge im Rheinland bereits viel früher eine gemeinsame kulturelle Identität entstand, sei die Identifikation mit dem Ruhrpott erst durch den Wandel vom Bergbaugebiet zur Kulturregion entstanden. Die allgemein aggressiver auftretende Fanszene habe dem Revierderby zusätzlich seine heutige Würze verliehen, so Luh.
Quo vadis, Revierderby?
Eine Entwicklung, die nicht nur bei Schalke und dem BVB zu beobachten ist – beim Westfalenderby zwischen den Drittligisten Preußen Münster und dem VfL Osnabrück werden die Gästefans mittlerweile aufgrund vermehrter Ausschreitungen vom Spiel ausgeschlossen. Ob es in Dortmund und Gelsenkirchen jemals so weit kommen wird? Luh bezweifelt dies, denn die Fans beider Vereine seien sich ihrer Ähnlichkeiten – und gemeinsamen Abneigungen – sehr bewusst. Als Beweis zitiert er einen Brief, in dem sich der Dortmunder Fanclub „BVB Freunde“ an die Schalker Fans wendet und für eine friedliche Atmosphäre bei zukünftigen Derbys wirbt. Darin heißt es: „Beiden Fanlagern springt doch der Ekel ins Gesicht, wenn der FC Bayern kommt.“
:Birthe Kolb
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