Bild: Dietmar Dath gehört zu den produktivsten Gegenwartsautoren: Mit „Deutsche Demokratische Rechnung“ schildert er sozialkritisch die Situation der linken Szene. , „Deutsche Demokratische Rechnung“ von Dietmar Dath Foto: Eulenspiegel Verlag

Klare Kante ist bei Dietmar Dath selbstverständlich: Die zeigt in seinem Roman „Deutsche Demokratische Rechnung“ nicht nur seine Hauptprotagonistin, sondern auch der Autor selbst. Eine Liebeserklärung an die junge linke Szene.

Leben ist nur da, wo Widerstand ist. Vielleicht scheint Vera Ulitz das auch zu denken, als sie beim Versuch, eine Hausräumung zu verhindern, gegen die Ordnungskraft austeilt: „Eine Ohrfeige an den Plastikhelm, dass der mit innerem Widerhall wie eine mit aller Kraft geschlagene Glocke dem Polizisten um den Schädel wackelt.“ Auch wenn ihr der Sinn ihres Reflexes da noch nicht bewusst ist, er drückt ihre Empörung aus – und hat seine Wirkung: „Der Mann taumelt. Leute jubeln, fluchen, schreien. Vera spürt, wie sie zurückgezogen wird, sie weiß nicht, von wem, und dann losgelassen, so dass sie gegen die schlecht verputzte Wand fällt. Sie hat das Signal gegeben. Die Schlacht beginnt.“

Doch die Schlacht, für die sie das Signal gegeben hat, ist nur ein Scharmützel; eins, bei dem diejenigen, die später im Roman als die „politisch Wachen“ verteidigt werden, nur Blessuren davon tragen, aufgerieben werden – eine Szene, die zugleich so bezeichnend ist für eine Linke, wie sie in Dietmar Daths Roman „Deutsche Demokratische Rechnung“ dargestellt wird.

Sozialkritik statt Science-Fiction

Dath gehört zu den besten deutschsprachigen GegenwartsautorInnen. Der „hyperproduktive Autor“ (Die Welt) und Chef des FAZ-Feuilletons pendelt zwischen fantastischen Science-Fiction-Parabeln („Die Abschaffung der Arten“) und sozialrealistischen Romanen wie „Für immer in Honig“. Das gilt auch für seine beiden letzten, fast zeitgleich erschienen Bücher: Während er in „Venus siegt“ eine Science-Fiction-Allegorie einer „realsozialistischen“ Gesellschaft auf dem Nachbarplaneten beschreibt, ist „Deutsche Demokratische Rechnung“ ein realistischer, sozialkritischer Blick auf die Gesellschaft. „Eine Liebeserzählung“ lautet der Untertitel und das trifft zweifach zu: sowohl auf die kleine Romanze zwischen den zwei HauptprotagonistInnen als auch darauf, dass Dath eine Liebeserklärung an die junge Linke abliefert.

Später als Vera mit diesem Grüppchen Widerständiger („die Arbeitslosesten der Empörten, darunter nicht wenige Studierende“) bei ihrer Freundin Zitronennudeln spachtelt, sieht sie in der Aktion eine gewisse  Notwendigkeit. Zwar hat es die Räumung nicht verhindern können  –  der Mann wurde nicht nur aus der Wohnung geschmissen, sondern auch verhaftet und was mit seiner Frau und den Kindern ist, weiß keiner so recht – trotzdem gesteht sie sich ein: „Sie machen mit uns, was sie wollen, das stimmt leider, aber dann müssen wir wenigstens zum Ausdruck bringen, dass wir das tatsächlich nicht wollen, und so ist es geschehen.“

Dabei wird Vera Ulitz, die Tochter des fiktiven DDR-Mathematikers,  sehr unvorbereitet in dieses Umfeld geworfen: In Berlin ist sie zunächst nur wegen der Beerdigung ihres Vaters. Der träumte einst von einer besseren, demokratischen DDR und wandte sich später deprimiert vom politisch Kurs der Führung ab. „Ein Mann, der schon tot war, als er noch lebte, einer, der 1989 gestorben ist“, predigt der Pfarrer am Grab. Auch Vera hat Mathematik studiert und schuftet nun für einen Mindestlohn in einer Bäckerei-Filiale. In Berlin erbt sie die Wohnung des Vaters, aber auch seine hinterlassenen Schriften, die sich mit Leibniz, Mathematik und planwirtschaftlichen Alternativen auseinander setzen. Doch so wirklich konnte sie mit ihrem kalten und lieblosen Vater nie warm werden. Im Selbstfindungsprozess setzt sie sich mit dem Nachlass ihres Vaters auseinander und taucht über eine alte Freundin in die linke Szene Berlins ein. Dort trifft sie auch einen Journalisten, in den sie sich verliebt. Doch der verfolgt ganz andere Ziele.

Klare Kante des Autors

Auf welcher Seite der Erzähler steht, ist von Anfang an klar. Dath ist ein politischer Schriftsteller – egal, ob Roman oder theoretische Schrift. Herrschaftskritik betrieb der Marxist bereits in dem zusammen mit Barbara Kirchner geschriebenen 1000-Seiten-Werk „Der Implex“: Kapitalistische Besitz- wie Herrschaftsverhältnisse verhindern einen sozialen und technischen Fortschritt. Wie Produktions, Kommunikations- und Informationsmittel demokratisch und emanzipatorisch genutzt werden können, skizzierte er auch in seinem Manifest „Maschinenwinter“. Zuweilen hat man den Eindruck, einige Passagen aus seinen politischen Schriften liegen auch den Ausführungen von Otto Ulitz zugrunde, philosophische, politische oder kybernetische Überlegungen, die munter im Roman ausgeführt werden.

Doch nicht die verkopften Dialoge über politische, planwirtschaftliche Alternativen, die Dath-Figuren eben austauschen, sind es, was seinen Roman auszeichnet. Wenn hier darüber geplaudert wird, dann vor dem Hintergrund der Ohnmacht, des Taumels in einer entfremdeten Gesellschaft, durch die sich seine Figuren winden. Und das erledigen sie stolz; Dath gibt ihnen Hoffnung, Überlegenheit – trotz aller Tristesse und neoliberalem Jammer. Wer die politische Situation der jungen Linken in der bleiernen Zeit der Merkel-Ära begreifen will, kommt nicht um den (realistischen) Romancier Dietmar Dath herum.

An einer Stelle des Roman liest Vera Ulitz einen Roman von Jan Seghers. „Das ist doch großartig, wenn ein Buch so klar sieht, wie die Verhältnisse liegen, und dabei noch spannend ist“, denkt  sie nach der Lektüre. Genau das lässt sich auch über Daths Buch sagen.

:Benjamin Trilling

Dietmar Dath: „Deutsche Demokratische Rechnung. Eine Liebeserzählung“

Erschienen im Eulenspiegel Verlag, 239 Seiten, 17,99 Euro.

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