Bild: Eins von vielen Highlights: die Robo-Mongolen bereisten den Eichenring und sorgten für Entzückung. Foto: alx, Hurricane-Festival: Beste Stimmung mit Bands und neuen Bekannten Foto: alx

Das diesjährige Hurricane zog 65.000 FestivalgängerInnen nach Scheeßel. Obwohl das Event dieses Jahr weniger BesucherInnen anlockte (2014: 73.000), konnte es mit seiner Stimmung und Bands punkten. Headliner waren Placebo, Materia und Florence + The Machine. :bsz-Redakteur Alexander Schneider war vor Ort.

Donnerstagmorgen um 10 Uhr begann die Reise nach Scheeßel zum Hurricane-Festival. Kurz zuvor hörte ich mir noch den Vortrag in HGA20 zu Heideggers „schwarzen Büchern“ an, die seine Vorstellungen zur NS-Zeit behandelte. Doch jetzt dozierten durch die Lautsprecher des Autos der Fotografin Jessica Die Antwoord, Casper und KIZ. Wir fuhren los.

Im Gepäck des winzigen Renault: Proviant für drei Tage, zwei Paletten Bier und jede Menge Toilettenpapier, die dreilagige Wunderwaffe gegen jedes Problem. Ravioli auf dem Campingstuhl deiner Nachbarin verschüttet? Toilettenpapier! Kein Ball und nur eine Rolle und Panzertape? Toilettenpapier! MacGyver wäre stolz auf uns gewesen. Das Auto, das liebevoll „Hase“ (HA-SE-XXX) getauft wurde, lief auf Hochtouren: 140 km/h Spitze, Berg ab. Mit einer rekordverdächtigen Anreisezeit von nur dreieinhalb Stunden kamen wir zügig um 13:30 an.

Nachdem wir dann endlich einen nahegelegenen Parkplatz gefunden hatten, zürnte Jessica „Wo soll denn nur unser Zeltplatz sein?!“ Erst nach einem kleinen Sissyphusmarsch bekamen wir die richtige Antwort. Drei Kilometer mit vollen Rucksäcken und strapazierten Händen verwandeln auch die euphorischste Jessica in eine kleine Bestie. Wer Festival sein will, muss leiden. Das erste Hansa und Turmbräu half dabei alles beim zelebrierten Zeltaufbau zu verarbeiten. Meine Residenz? Ein türkises zwei Personenzelt von Quecha, eine Pracht, zumindest für 22 Euro.

Slow-Motion

 

Der Campingplatz war noch so sauber wie ein vor kurzem erst gemähter Acker nur sein kann. Das einzige unnatürliche war bis zu diesem Zeitpunkt die Farbpracht der zehntausend Zelte und der heimgekehrte Gerstensaft, der überall in Form von Bierpalletten aufgetürmt stand. Lange dauerte es nicht, bis wir von anderen Zeltenden zum Flunkyball herausgefordert wurden. Nach einem lockeren Beginn folgte der dramatische Endkampf, doch unser Team gewann überraschend um Haaresbreite. Ein weiteres Bier gab es als Gewinn von den vorher Unbekannten geschenkt, bevor wir weiterzogen. Marco, Julia und die anderen sahen wir die nicht wieder, dafür lernten wir neue Leute kennen. Die nächste Runde Flunken ließ nicht lange auf sich warten, genauso wie die Slow-Motion-, Ass-rating- oder Tanz-Zonen. Mit Zahlen von eins bis zehn bewerteten diese auch die amateurhafteste Performance und applaudierten bei ambitionierten Darbietungen: darunter ein circa zwei Meter großer Penis mit Bier in der Hand; Den Rest überlasse ich Eurer Phantasie.

Getrübt wurde die Stimmung am Donnerstag und Freitag nur vom neuen bargeldlosen Bezahlen via Chip, der am Festivalbändchen befestigt war. Durch Übertragungsprobleme konnten viele diesen erst verzögert aktivieren und aufladen. So führten diese „Kinderkrankheiten“, wie sie einer der Veranstalter während der Pressekonferenz nannte, zu nervenaufreibendem Schlangestehen. In der Kulisse des größten Zeltplatzes und unter Regen wuchsen diese in Folge dessen auf bis zu 20 Meter Länge. Im Gespräch erzählte mir beispielsweise ein Pärchen, dass sie fünf Stunden angestanden hätten und das grade weil sie ihren Chip vorher aufgeladen hätten. Durch ein Becks oder Magnum wurde von den VeranstalerInnen jedoch versucht die Anstehenden zu besänftigen. Um 21:30 Uhr begann dann der musikalische Teil von Jessicas und meiner Tour im größten Zelt des Campingplatzes, der White Stage. Fuck Art, Let´s Dance („Atlas“) zog das Publikum zügig mit ihren Songs in ihren Bann und begleitete die Show mit einem lichtgewaltigen Bühnenbild.

Überraschend gut

Samstag schien dann endlich nach zwei Tagen die Sonne. Neben wilden Wetterwechseln passieren auch noch zwei andere Dinge auf jedem Festival: Man verliert im Trouble seine Gruppe und schafft es nicht zu jeder Band. Dabei wäre Alt-J ein Genuss gewesen. Im Gegenzug überzeugte mich am zweiten Tag Die Antwoord („I fink u freeky“), das FURT (Farin Urlaub Racing Team), Materia, Jan Delay & Disko No. 1 und Irie Révoltés. Jeder der Acts wusste es auf seine Art das Publikum zum ausrasten zu bringen. Die Antwoord  war von allen mein Favorit. Mit den Vocals von Ninja und Youlandi sowie den Beats von DJ Hard Dick wurde die Show zu einem skurrilen Erlebnis. Neben den durchgedrehten und humorvollen Texten überzeugte vor allem die kultivierte Ekelästhetik der Crew und deren Einsatz die Festivalmasse mitzureißen. So blieb es nicht nur beim behaartbrüstigen DJ und den Tanzeinlagen der Artistinnen, es steigerte sich auch zum zwei maligen Crowdsurfen von Ninja.

Abseits davon war es mir dennoch ein Graus Materia vor das FURT zu platzieren. Im Nachhinein aber muss ich eingestehen, dass der Hip-Hopper einen guten Job gemacht hat. Selbst wenn für viele das diesjährige Line-Up eher als schwächelnd und Hip-Hop-lastig galt, waren alle Gefragten dennoch zufrieden bis glücklich dabei gewesen zu sein. Die Musik mag zwar wichtig sein, das Besondere ist und bleibt allerdings die Stimmung des Events. Und dazu gehört auch am Abend in einer Runde ausklingen zu lassen: Im Kreis der eigenen Leute oder dem von neuen Bekannten.

Entrecôte?          

Für uns begann der abschließende Tag absolut großartig und unerwartet delikat, neben uns hatten es sich nämlich zwei Köche häuslich gemacht: Helge und Oliver. Es war der pure Luxus und einfach nur gut mit den Jungs speisen zu dürfen. Noch nie hatte ich Gambas mit dem Schmetterlingsschnitt angerichtet gesehen und vom Entrecôte-Stück des Rinds auch nur gehört. Es kam mir fast vor wie ein Bildungsurlaub. Mit den beiden kamen Jessica und ich noch häufiger ins Gespräch. Beeindruckend fand ich besonders, dass Oliver sich für Flüchtlinge engagiert und sich insofern sogar ein Jahr Urlaub genommen hat.

Während einem erneuten Geländerundgang und der vergeblichen Suche nach dem lebensgroßen Looping Louie – das von Campern aus Bobbycars gefertigt wurde – lernte ich einen amerikanischen Fotographen kennen. Nicht nur, dass er extra nach Europa kam um ein Festival zu sehen machte ihn irgendwie sympathisch,  sondern auch, dass die coole Sau inzwischen weiter zieht und fast jedes weitere in der EU besucht! Was soll man dazu nur sagen? Ich will auch. Mit ihm und Jolie von einem Burgerstand ging es während Madsen spielte weiter zum Riesenrad. Madsen, die für Ben Howard eingesprangen, waren selbst in durchzechter Stimmung gekommen, spielten aber absolut ambitioniert und rockten die Crowd. So verkündete der Sänger Johannes Madsen zu Beginn ungefähr mit diesen Worten: „Für uns ist es auch wie auf einem Festival, wir kommen direkt vom Southside, ungeduscht, durchzecht“. Vom Riesenrad war es unterdessen unerwartet malerisch geworden. Die Zelte und ihre knalligen Farben boten ein hübsches pointilistisches Bild, das sich zu sehen lohnt!

Gänsehautmomente

Helge trafen wir etwas später wieder, als wir Jolie zu ihrem Stand brachten. Kurz darauf zog unser Trio motiviert zu Florence + The Machine, die mit ihrer klaren Stimme für Gänsehautmomente sorgte. In der Hippie-artigen Stimmung rief sie zudem jemanden aus dem Publikum auf die Bühne , der ein Schild mit „free hugs“ trug. Nach kürzester Zeit vollbrachte unsere Gruppe es sich wieder zu verlieren. Und ich muss zugeben: Diesmal hatte ich eine Teilschuld. So sprach mich kurz zuvor noch die Kosmetikerin Anni an, mit der es schnellstmöglich zu Casper ging, welcher seine „Exklusive Show mit DJ“ begann. Mit ihm ging das musikalische und feucht-fröhliche Hurricane zu Ende. Jessica, die am nächsten Tag noch um 8 Uhr in der Uni sein musste, hatte es nämlich eilig zurückzufahren: „Wo bist du? Wenn du bis 12 nicht da bist fahren wir ohne dich.“ Rechtzeitig war ich, nach kurzem Telefonat um 0:22 dann doch um 0:30 bei unserem Auto. Wir verabschiedeten uns von unseren Nachbarn Helge und Oliver sowie den anderen, die bei ihnen saßen und bis zum nächsten Morgen blieben. Danach fuhren wir zügig mit dem „Hasen“ zurück in den Pott, doch diesmal mit Julia Seegers (Campusradio CT), die wir noch aufgegabelt hatten. Es waren abenteuerliche und verrückte vier Tage und genauso fühlte sich auch die Heimfahrt an, wie in den Tiefen des Hasenbaus. Es war ein Fest!

:Alexander Schneider

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