Das Autonome FrauenLesbenReferat der RUB hatte am 15. Juni zusammen mit der studentischen Frauenbibliothek „Liselle“ zum Vortrag mit anschließender Diskussion geladen. Zu Gast war Anna Schiff, die über die Geschichte von Wahnsinn und Psychiatrie und insbesondere über Frauen als Patientinnen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts referierte.
Anna sitzt gerade an ihrer Masterarbeit in Geschichte – anders als viele Studierende schließt sie sich in dieser Phase aber nicht nur ins stille Kämmerlein ein, sondern stellte erste Ergebnisse ihrer Recherche der Hochschulöffentlichkeit vor. Der Vortrag fand in einer kleinen Runde statt – eine Abwechslung zu den sonst so überlaufenden Massenveranstaltungen vieler Studiengänge. Dementsprechend entspannt und anregend war auch die sich dem Vortrag anschließende Diskussion. Einziger Abstrich: Die Veranstaltung war leider nur für FLTI* (also für alle, die sich als Frauen identifizieren) ausgewiesen.
Psychopathinnen damals – und heute?
Auf ihr Thema sei sie durch Besuche im Archiv der Psychiatrie Bethel gekommen, so Anna. Dabei seien ihr vor allem die sogenannten „haltlosen Psychopathinnen“ im Gedächtnis geblieben. Mit einer Auswahl dieser Fälle und der Frage, wie über die Frauen und Mädchen gesprochen wird, beschäftigt sie sich auch in ihrem Projekt.
Die Patientinnen werden mit einer „wahnsinnig beklemmenden Sprache“ beschrieben, die ein „unglaubliches Mitgefühl mit den Frauen“ hervorruft, so Anna. Tatsächlich ist von „pathologischer Weiblichkeit“ die Rede; die Mädchen werden zum Beispiel eingeliefert, weil sie widerspenstig sind, „krankhaft verlogen“ und „arbeitsunwillig“ oder keinen Gefallen an „typischen Mädchensachen“ finden – im Grunde also das, was heute als ganz normales Teenagerverhalten gilt. Abweichung von der Norm wurde pathologisiert, sofern die Mädchen nicht das gewünschte „nette, mädchenhafte Benehmen“ zeigten: „Die Mädchen existieren schon in den Köpfen, bevor sie in den Akten erscheinen“, als Stereotypen, die es zurechtzurücken galt.
Verrückt oder verrückt gemacht?
Bei der Untersuchung dieses Themas geht Anna mehreren Fragestellungen nach, die zum Teil nicht voneinander abzugrenzen sind. So lohnt es sich, der Frage nach historischen Kontinuitäten nachzugehen und zum Beispiel zu hinterfragen, was genau sich zwischen Weimarer Republik und den frühen Jahren der Bonner Republik insbesondere mit Blick auf die NS-Zeit verändert hat. Vielleicht war der Arbeitsalltag der ÄrztInnen in den 1920ern gar nicht so anders als der in den 1950ern? Des Weiteren ist die Frage nach dem männlich-ärztlichen Blick auf das Andere, das Weibliche spannend – wobei interessant ist, dass auch Ärztinnen die Formulierungen ihrer männlichen Kollegen zu übernehmen scheinen. Ebenso stehen sich psychische Krankheit als Sprache sowie als Symptom gegenüber: Macht die Gesellschaft (das Patriarchat) die Frauen krank oder sollte man „Modekrankheiten“ als eine Ausdrucksmöglichkeit ansehen? Und wie bewertet man damalige Diagnosen wie „menstruelle Psychose“ heute?
:Stefanie Lux
0 comments