In der Nacht zum 18. März brachen von Köln und anderen nordrhein-westfälischen Städten mehr als 500 Blockupy-AktivistInnen nach Frankfurt auf, um die Eröffnungsfeier des neuen Gebäudes der Europäischen Zentralbank zu verhindern. In den frühen Morgenstunden erreichte der Konvoi eine Nebenstraße in Frankfurt. Die AktivistInnen eilten von dort zu einem der fünf Blockadepunkte. An ihrem Punkt, der Osthafenbrücke am Main gegenüber dem EZB-Neubau, wurden sie bereits von mehreren Hundertschaften und Wasserwerfern der Polizei erwartet. Noch vor sieben Uhr standen sich beide Blöcke wie in einem Schachspiel im Schatten der Europäischen Zentralbank gegenüber.
Direkt nach dem Eintreffen der AktivistInnen an der Osthafenbrücke kam es zu einem Zusammenstoß zwischen ihnen und der Polizei, bei dem es mehrere Verletzungen durch Pfeffersprayeinsatz auf Seiten der DemonstrantInnen gab. Die Lage beruhigte sich recht schnell wieder und der örtliche Polizeisprecher betonte mehrmals, dass die AktivistInnen so friedlich bleiben sollten, wie sie es bislang waren.
Die DemonstrantInnen schätzten die Lage aber etwas anders ein. Mehrere mit Pfefferspray und Schusswaffen bewaffnete PolizistInnen standen in ihren Reihen und gefährdeten und provozierten sie so noch stärker, als es die Hundertschaften und Wasserwerfer vor ihnen bereits taten. Erst nach massiven Protesten zogen sich die PolizistInnen in ihren Teil der Demo zurück.
Nach diesen Zwischenfällen war es an der Blockade nicht nur friedlich, sondern vollkommen unspektakulär. Während auf der anderen Mainseite die Rauchsäulen hochstiegen, wurde dort Ball gespielt und die Satire-Band „Pappnasen Rotschwarz“ unterhielt die Leute mit ihren EZB-kritischen Liedern. Die Zusammenstöße zwischen AktivistInnen und der Polizei, die brennenden Autos und Barrikaden waren dort nur ein mediales Hintergrundrauschen via Twitter und Onlinemedien. Provokation und Gewalt gingen auf dieser unspektakulären Mainseite nur von den Einsatzkräften der Polizei aus. Zwei Situationen verdeutlichen die systematische Missachtung der BürgerInnenrechte durch Polizei und Einsatzleitung und deren Geringschätzung der Gesundheit von DemonstrantInnen und PolizistInnen.
Missachtung von Grund- und BürgerInnenrechten
Gegen 10 Uhr hielt ein hessischer Bundespolizist an der Main-Promenade unterhalb der Blockade vier harmlos wirkende DemonstrantInnen auf, welche die Blockade verlassen wollten. Für ihn reichte die Tatsache, dass sie an der angemeldeten, genehmigten und somit legalen Blockade teilgenommen hatten, um sie als Bedrohung für die Öffentlichkeit zu klassifizieren. Während die vier Leute mit ihm diskutierten, passierten JoggerInnen und AnwohnerInnen ungehindert diese Stelle. Ihren Hinweis, dass seine Weigerung gegen ihre Grund- und BürgerInnenrechte verstoße, tat der Polizist lapidar mit den Worten ab: „Bürgerrechte hin oder her. Sie betreten diesen Bereich nicht und können sich mit ihren Bürgerrechten in diese Richtung entfernen und alles ausnutzen, was sie brauchen.“
Zu dieser Missachtung der Grund- und BürgerInnenrechte kommt noch ein hohes Gewaltpotential seitens der Polizei hinzu.Als sich etwas später die Blockade auflöste, versuchten die AktivistInnen, über die nahegelegene Flößerbrücke auf die andere Mainseite zu den anderen genehmigten Teilen der Demonstration zu gelangen. Kurz bevor die AktivistInnen die Brücke erreichten, sprinteten circa 30 PolizistInnen zur Brücken und blockierten diese.
Dass 30 PolizistInnen eine Brücke gegen 300 DemonstrantInnen nur unter dem Einsatz massiver Gewalt oder augrund des guten Willens der DemonstrantInnen halten können, sollte in dieser Situation auch der Einsatzleitung klar gewesen sein. Dieser schien aber die Gesundheit ihrer eigenen Leute ebenso gleichgültig zu sein wie die Gesundheit und die Grundrechte der friedlichen DemonstrantInnen. Dass es hier nicht zu massiven Gewalttaten kam, ist dabei nicht den sich an der Grenze zum rechtsfreien Raum bewegenden oder diese überschreitenden staatlichen Einsatzkräften zu verdanken. Vielmehr zeigte sich hier, dass es den AktivistInnen trotz der massiven Eskalations- und Gewaltbereitschaft der Polizei gelang, friedlich und ruhig zu bleiben.
Verglichen mit der WM-Feier friedliche Proteste
Welche Bedeutung hat dieses Gewalt- und Eskalationspotential der Polizei auf der harmlosen Mainseite aber für die von Lenz Jacobsen (Zeit Online) scharf kritisierten Zwischenfälle auf der anderen, der turbulenten Mainseite? Und waren diese überhaupt so extrem und zahlreich, wie es die Berichterstattung suggeriert?
Ein guter Vergleich ist hierbei die Anzahl der Verletzen bei der Demonstration und bei den Siegesfeierlichkeiten zum letzten WM-Titel der deutschen Nationalmannschaft.
Während am 18. März in Frankfurt rund 130 Blockupy-AktivistInnen und 94 PolizistInnen (Quelle: Spiegel Online 2015) zu Schaden kamen, wurden am 13. Juli 2014 allein in Deutschland 170 Beteiligte und 155 Unbeteiligte im Zuge der WM-Feierlichkeiten verletzt und ein Mensch getötet (Quelle: Welt Online 2014). Diese Gegenüberstellung soll und kann natürlich nicht das Verhalten vieler staatlicher Einsatzkräfte und einzelner AktivistInnen rechtfertigen, sondern nur verdeutlichen, dass das, was in den Massenmedien und von der Politik zur Diffamierung einer ganzen Protestbewegung genutzt wird, weit harmloser ist als ein weit entferntes WM-Finale.
Im Gegensatz zu den AktivistInnen werden Fußballfans von der Polizei nicht unter Generalverdacht gestellt und auch nicht auf juristisch zweifelhafte Weise provoziert. Und dies, obwohl die Grundrechte auf Demonstrations- und Meinungsfreiheit, auf deren Einschränkung die Anwendung des Widerstandsparagraphen geprüft werden kann, nicht gelten. Jacobsen irrt nämlich, wenn er schreibt, dass, wer Gewalt im Namen einer guten Sache „okay findet“, kein Demokrat mehr sei. In diesem Sinne wäre nämlich ein Grundgesetz, welches StaatsbürgerInnen im Artikel 20 als letzte Instanz weitreichende Widerstandsrechte gegen alle, die das Grundgesetz beseitigen wollen, einräumt, undemokratisch.
:bsz Gastautor Philipp Adamik
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