Bild: Neue UN-Kampagne will Staatenlosigkeit bekämpfen

Ein Mensch, der staatenlos ist, existiert praktisch nicht – deshalb ist es verwunderlich, wenn die UNO in einem neuen Bericht zum Thema Staatenlosigkeit davon ausgeht, dass weltweit etwa zehn Millionen Menschen offiziell zu keinem Staat gehören; denn wie soll man jemanden, der nicht existiert, statistisch erfassen können? Eine neue Kampagne der UNO soll nun auf diese Problematik aufmerksam machen.

Flucht vor Hunger oder Krieg im Heimatland, politische Unterdrückung oder die plötzliche Auflösung eines Staates – es gibt viele Gründe, aufgrund derer ein Mensch plötzlich staatenlos werden kann. Während wir im bequemen Wohnzimmersessel unserer Wohlstandsgesellschaft schnell dazu neigen, Staatenlosigkeit automatisch mit Flüchtlingsproblematiken zu verbinden und diese auf dem afrikanischen Kontinent oder im Nahen Osten verorten, wird gerne übersehen, dass auch im ach so fortschrittlichen Europa Menschen von Staatenlosigkeit bedroht sind.

Ein Leben als „NichtbürgerIn“

So existieren etwa im baltischen Raum russische Minderheiten, denen nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion 1991 keine Pässe in den neu entstandenen baltischen Staaten ausgestellt wurden. Noch heute dürfen die „NichtbürgerInnen“, die etwa in Lettland tatsächlich offiziell so genannt werden, nicht an Wahlen teilnehmen oder im öffentlichen Dienst arbeiten – und gehören damit zu einer Menschenklasse, die man eigentlich im modernen Europa längst überwunden haben sollte.

Um auf das Problem der Staatenlosigkeit aufmerksam zu machen, hat die UNHCR (United Nations High Commissioner for Refugees), das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen, eine Kampagne mit dem Namen „I belong“ gestartet. In einem offenen Brief, der von so prominenten UnterstützerInnen wie dem südafrikanischen Friedensnobelpreisträger Desmond Tutu unterzeichnet wurde, bezeichnet UNHCR-Kommissar Antonio Guterres das Phänomen der Staatenlosigkeit als „schlimmste Anomalie des 21. Jahrhunderts“. Bis 2024 will die UN die Staatenlosigkeit mittels eines Zehn-Punkte-Plans weltweit abschaffen.

Heiße Luft statt Heldentaten?

Ein tollkühner Plan – wenn man bedenkt, dass bereits seit 1961 ein „Abkommen zur Verminderung der Staatenlosigkeit“ existiert. Darin ist unter anderem festgelegt, dass keine Nation einer Bevölkerungsgruppe die Staatsbürgerschaft aus rassistischen oder politischen Gründen aberkennen darf. Dennoch zeigt das genannte Beispiel der RussInnen in Lettland wie auch etwa das Beispiel der Rohningya, einer muslimischen Bevölkerungsgruppe in Myanmar, dass das Abkommen längst nicht überall umgesetzt worden ist. „Staatenlosigkeit abschaffen“ bleibt somit ähnlich wie „Welthunger bekämpfen“ oder „Weltfrieden schaffen“ ein vages Ziel, das in vollmundige Versprechen gekleidet wird, darunter aber eine nackte, unangenehme Wahrheit präsentiert: Je länger unliebsame Minderheiten in ihren Heimatstaaten unterdrückt werden, desto länger wird auch die Staatsbürgerschaft als Druckmittel genutzt werden – vor allem auf psychischer Ebene, denn wie muss es sich anfühlen, in seinem Heimatland ein „Nichtbürger“ zu sein?

:Birthe Kolb
 

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