Bild: Begleiteten die Filmvorführung im Endstation-Kino: Die RegisseurInnen Ulrike Franke und Michael Loeken., Publikumsgespräch: Die Doku „Göttliche Lage“ im Endstation Kino Foto: bent

Gesellschaftskritik am Zaun: Arm und Reich prallen in Ulrike Frankes und Michael Loekens Doku-Highlight „Göttliche Lage“ über den Gentrifizierungs-Meilenstein Phönixsee aufeinander. Die Dokumentation trifft den Nerv der Zeit und füllt bei der Filmvorführung und das anschließende Publikumsgespräch mit den beiden RegisseurInnen den Saal im Endstation Kino.

Kinobetreiberin Nina Selig hat alle Hand zu tun: Die letzten freien Sessel werden durchgezählt, Stühle aus dem Eingangsbereich werden in den Saal getragen – das Endstation-Kino in Bochum Langendreer platzt aus allen Nähten. „Wir haben noch nie ein Filmgespräch gehabt, bei dem es zu Tumulten an der Kasse kam. Bis jetzt war jede Vorstellung ausverkauft“, kommentiert Selig die neue Erfahrung. Für die nächsten Tage werden weitere Vorstellungen gebucht, der Film „Göttliche Lage“ scheint einen Nerv getroffen zu haben. Das drückte sich auch in dem anschließendem Publikumsgespräch mit den anwesenden RegisseurInnen Ulrike Franke und Michael Loeken aus. Beide überzeugten schon 2006 mit dem mehrfach preisgekrönten Doku-Film „Losers and Winners“, der den Abbau des Stahlwerks Phönix Ost, das 18.000 Menschen beschäftigte, schildert. „Wir sind einfach dran geblieben an dem Thema“, erläutert Michael Loeken die filmische Auseinandersetzung mit dem Wandel in Hörde. „Jetzt geht es um den Wandel in der ,Freizeitgesellschaft‘“, fügt Ulrike Franke hinzu. „Das ist ein gesamtgesellschaftliches Problem. Grundlage ist die Metapher, die der See bildet – für die Schere, die herrscht.“

Metapher der Schere: Kontrast von Arm und Reich

„Keine Angst vor dem Neuen, man arrangiert sich“ , sinniert ein Streifenpolizist, der am Phönixsee patrouilliert, über  die Veränderungen und starrt nachdenklich auf den See. Wie diese Neue aus dem Alten entsteht, wird in dem Film gut beobachtet – etwa in diesem „ruhrgebietsspezifischen am-Zaun-Plaudern“, wie es Franke im Publikumsgespräch beschreibt. Fünf Jahre wurden gefilmt. Zunächst ist es eine Mondlandschaft, über die die Kamera gleitet. Wo einst das Werk stand, klafft ein schlammiges Loch, durch das sich Bagger wühlen. Um dieses Nichts siedelt sich Hörde an: Eine ArbeiterInnensiedlung mit maroden und leerstehend Buden – die soziale Ungleichheit wird treffend eingefangen. Das drückt sich auch in dem Perspektivenwechsel zwischen den AnwohnerInnen, einfachen Leuten, und den neoliberalen Planern des Luxusviertels rund um den See aus. Da sind die typischen Ruhrpott-Opas, die den Wandel mit kauzigen Kommentaren begleiten, der Streifenpolizist, der sich um die AnwohnerInnen sorgt und eine Kioskbesitzerin, die ihren Laden aufgeben muss und ihre Lage verzweifelt auf den Punkt bringt: „Der See hat alles kaputt gemacht.“ Spannend sind die Einblicke in die Besprechungen und Planungen der StrippenzieherInnen, die das Luxusviertel am See bauen. „Die haben uns wirklich Tor und Tür geöffnet“, erläutert Loeken den Hintergrund. „Göttliche Lage“  ist keine Fingerzeig-Inszenierung, keine Polemik à la Michael Moore; die ideologische Verblendung ist Realität. Das unterstreicht auch Loeken, als ein Zuschauer fragt, warum die Gentrifizierung mit allen Folgen keine Zweifel bei den Verantwortlichen weckt: „Sie unterschätzen die Leute, die das machen. Die sind völlig überzeugt von ihrer Arbeit.“                               

:Benjamin Trilling

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