Im KulturCafé referierte Tilo Perlick, wissenschaftlicher Mitarbeiter der TU Dortmund am Lehrstuhl für Allgemeine Soziologie, am vergangenen Dienstag über das Freihandelsabkommen zwischen den USA und der EU und wollte dabei eigentlich nicht zu sehr in die Breite gehen. Was folgte, war eine Abrechnung mit PolitikerInnen, LobbyistInnen und vor allem Wirtschaftsunternehmen, die mit TTIP die Politik von morgen bestimmen wollen. Am Ende war das Publikum sprachlos und doch begeistert.
TTIP oder, wie PolitikerInnen es neuerdings aussprechen auch /ti:tip/, ist nicht der Name einer neuen Pop-Band am Charthimmel, sondern eines der größten und wichtigsten Gesetzesvorhaben, welches das Europäische Parlament bis spätestens 2015 absegnen will. Die Transatlantic Trade and Investment Partnership hat, wie der Name schon sagt, nicht viel mit dem EU-Parlament zu tun und auch wenn über TTIP im Europäischen Parlament in Strasbourg abgestimmt wird, sind die eigentlichen Akteure andere. Ein Konsortium aus Lobbygruppen der wichtigsten Großunternehmen der Weltwirtschaft tüftelt seit gut einem Jahr hinter verschlossenen Türen und fernab des EU-Parlaments einen Plan aus, der es ihnen in Zukunft noch einfacher machen soll, Wirtschaftsinteressen durchzusetzen und einheitliche Standards für Europa und Amerika festzulegen.
Wer verhandelt überhaupt?
Das Europäische Parlament muss das Abkommen am Ende ratifizieren beziehungsweise ablehnen, jedoch hat es keine Möglichkeit, Änderungen bei TTIP vorzunehmen. Die eigentlichen Verhandlungspartner sind die Europäische Kommission und The Transatlantic Business Dialogue (TABD), eine Interessengruppe großer Wirtschaftsunternehmen, die von der EU und der US-Regierung 1995 als Schnittstelle zwischen Konzernen und den beiden Regierungen für Handels- und Investitionsangelegenheiten gegründet wurde. Ihre eigentliche Aufgabe: Handelsbarrieren verringern, Standards „harmonisieren“ und ArbeitnehmerInnen-Rechte abbauen.
Folgen des Abkommens
Wenn dieses Abkommen durchgesetzt wird, wovon auszugehen ist, hieße das, dass Unternehmen und Staaten rechtlich gleichgestellt wären; Unternehmen hätten dann die Möglichkeit, Regierungen zu verklagen, damit entgangene Gewinne aus Steuergeldern ausgeglichen werden könnten. Dass solche Schiedsgerichtsverhandlungen schon jetzt Realität sind, zeigt ein Beispiel aus Ecuador, wobei das südamerikanische Land von dem Ölkonzern Occidental zu einer Zahlung von 1,77 Milliarden Dollar verklagt wurde, weil es einseitig eine Förderkonzession gekündigt hatte. TTIP könnte zudem zur Folge haben, dass Fracking auch in Deutschland erlaubt wird, die Umweltstandards in der Landwirtschaft gesenkt werden und Vorschriften bei Grenzwerten (Pflanzenschutzmittel, Gentechnik, Trinkwasser etc.) drastisch gelockert werden würden. Welchen Vorteil hat die EU also von diesem Abkommen?
Mehrwert von 0,036 Prozent quantitativen Wachstums pro Jahr
In einer Studie der wirtschaftsnahen Bertelsmann-Stiftung werden 180.000 neue Arbeitsplätze in Aussicht gestellt, die durch TTIP allein in Deutschland in den kommenden 15 Jahren entstehen könnten; das wären ca. 12.000 neue Stellen pro Jahr – keine besonders hohe Anzahl, setzt man die dadurch möglichen Risiken des gesamten Abkommens in Kontrast. Das Center for Economic Policy Research schätzt, dass die europäische Wirtschaft durch TTIP in den kommenden 14 Jahren um gut 0,5 Prozent wachsen könnte – ebenfalls eine überschaubare Zahl, die auf das Jahr gerechnet einem fast nicht mehr einsehbaren Prozentwert von 0,036 Prozent entsprechen würde. Schon jetzt tauschen die EU und die USA täglich Waren im Wert von 1,8 Milliarden Euro und stellen mit gut 44 Prozent der globalen Wirtschaftsleistung die beiden wichtigsten Wirtschaftsräume dar.
Warum also tun sich die EU-Kommission und der TABD schwer damit, der Öffentlichkeit transparente Einblicke in das Abkommen zu gewähren? Der Grund dafür ist so plausibel wie einleuchtend – man möchte das Abkommen einfach nicht aufs Spiel setzen: Bereits 1998 versuchte dasselbe Gremium das sogenannte Multilaterale Abkommen über Investitionen (MAI) durchzubringen, scheiterte aber dann bei dem Versuch, da Details an die Öffentlichkeit gelangten. Das soll diesmal nicht passieren. Die durch das Abkommen hervorgebrachte Transatlantic Free Trade Area (Tafta) soll bereits 2015 Realität werden. Gibt es überhaupt eine Möglichkeit, das Abkommen zu verhindern?
Demokratie in Aktion auf campact.de
Auf der Online-Plattform campact kann man an einer Petition gegen TTIP teilnehmen und bei aktuell 447.585 gesammelten Unterschriften stehen die Chancen nicht schlecht, die Mindestanzahl von 552.000 Stimmen zu erreichen, die notwendig ist, um eine neue parlamentarische Diskussionsgrundlage zu schaffen. Ob das TTIP dadurch am Ende gestoppt werden kann, bleibt abzuwarten. Einen Versuch ist es jedenfalls allemal wert.
Tilo Perlick verwies am Ende seines gut 70-minütigen Vortrags darauf, dass es um mehr gehe als nur um die häufig besagten Chlorhühner oder den Genmais, der dann überall in der EU produziert werden könnte. Diese Dinge seien zum Teil bereits Realität. Die Konsequenzen von TTIP wären dagegen noch viel einschneidender: Das Abkommen untergrabe die Demokratie, indem es die weltweit führenden Wirtschaftsunternehmen rechtlich mit Staaten gleichstelle und somit Konzerne noch wesentlich stärker als bislang die Rolle der Politik übernähmen.
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