Bild: Portait an seinem Sterbeort Portbou (Spanien): Walter Benjamin (1892–1940)., Walter-Benjamin-Hörspiel beim SWR 2 Wikimedia Commons, Jordi coll Costa (PD)

Der Erste Weltkrieg erschütterte nicht nur den Fortschrittsoptimismus vieler MarxistInnen. Für Walter Benjamins posthum publizierte Thesen „Über den Begriff der Geschichte“ ist der erste Weltkrieg der anfängliche Erfahrungsraum eines negativen Geschichtsbegriffs, der sich bis in die faschistische Barbarei erstreckt. Als Marxist lanciert Benjamin den Begriff einer negativen Theologie, die, ausgehend von Prämissen jüdischer Tradition, den Geschichtsverlauf als einen Katastrophenprozess beschreibt. Katastrophal ist dieser Verlauf vor allem für die Unterdrückten, weswegen Benjamin einen revolutionären Messianismus artikulierte, auch als Erfahrungsraum für das Eingedenken.

Berühmt ist die These, in der Benjamin Paul Klees Bild „Angelus Novus“ als den Engel der Geschichte deutet. Der Engel wendet seinen Blick auf die Vergangenheit, in der er eine einzige Katastrophe erblickt, wo ein Sturm „Trümmer auf Trümmer häuft“ und den Engel fortfegt. Diesen Sturm begreift Benjamin als Fortschritt. Der Klang- und Medienkünstler Christoph Korn widmete sich diesen 20 essay­istischen Thesen Walter Benjamins in einem Audio- und Videoprojekt, das vom Kulturradio SWR 2 jeden Donnerstag um 22.03 als kurze Ausschnitte ausgestrahlt wird. Für die Video- und Audioaufnahmen wanderte Korn im Mai 2013 vom französischen Banyuls-sur-Mer bis zum Grenzort Portbou in den Pyrenäen. Auf der Flucht vor den Nazis nahm auch Walter Benjamin die gleiche Strecke, bevor er sich 1940 an der französisch-spanischen Grenze in den Pyrenäen mit einer Überdosis Morphium das Leben nahm.

Hörbilder für Benjamin-Exegeten

Korn nennt seine Aufnahmen (mit Bezug zu Benjamins Begriff der Denkbilder) „Hörbilder“. Diese bestehen aus drei Ebenen: Neben der Klangebene, die atmosphärisch den Fluchtweg Benjamins einfängt, wird der geschichtsphilosophische Text eingesprochen. Auf einer dritten Ebene wird jede Soundsequenz mit einem Videostück ergänzt. Als Anlehnung an den Angelus Novus ist die Kamera zum Rücken hin ausgerichtet. Insgesamt zwölf Stunden dauerte der Weg, den Korn auf sich nahm, um in der Tradition der Konzeptkunst den Benjaminschen Begriff des Eingedenkens in Video- und Klangaufnahmen zu erfassen. Auch die Website begreift der Künstler, wie er in einem SWR-Interview erläutert, als fragmentarischen Zwischenraum, der medial den Begriff des Eingedenkens transportieren kann. Wer für die wöchentliche Radioausstrahlung zu ungeduldig ist, sollte die Seite ­www.eingedenken.de besuchen, wo sich alle 20 Thesen in ihrer audiovisuellen Aufarbeitung studieren lassen.
 

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