Filme können über den Platz einer Frau in einer Gesellschaft reflektieren. Das wirkt umso interessanter, wenn auf der Leinwand eine Welt zu sehen ist, die sich im Umbruch befindet: Wenn der Film den Wandel des Zeitgeistes einfängt und zeigt, wie alte Formen bereits die neuen in sich tragen, – oder überraschen, wie obsolet das Alte im Lichte des Neuen erscheint. Wenn alte Herrschaftsweisen ins Wanken geraten und sich alternative Lebensformen anbieten, der Umbruch für einige ProtagonstiInnen Aufbruch bedeutet, kann der Film spannende Perspektiven einnehmen. Zu sehen war dies beim diesjährigen internationalen Frauenfilmfestival Dortmund / Köln. Auch wenn die Preisverleihungen sowie ein Großteil des Programms in Köln stattfand, so wurde im Dortmunder Kino im U eine Auswahl von Festivalbeiträgen gezeigt.
Wie unterschiedliche Lebensvorstellungen innerhalb von nur drei sommerlichen Tagen in Tanger zu Konflikten führen, zeigt Laïla Marrakchis lässiger wie melodramatischer „Rock the Casbah“: Nach dem Tod eines großbürgerlichen Patriarchen kommt die Familie zusammen, um sich von ihm in der Familienvilla nach muslimischer Tradition drei Tage lang zu verabschieden. Nach dem Tod des Vaters tragen seine drei Töchter alte Konflikte und Abrechnungen miteinander aus. Während es für alle Gäste gilt, die Jeans gegen die traditionellen Fetzen auszutauschen, kommt Sofia, die jüngste Tochter, aus den USA angereist, wo sie als Schauspielerin arbeitet, aber ausschließlich auf Rollen islamistischer Terroristinnen abonniert ist. Die Trauerfeier gerät nicht nur zum Clinch zwischen den drei Schwestern, „Rock the Casbah“ zeigt eine marokkanische Familie der Oberschicht, in der althergebrachte Normen in Frage gestellt werden, wo offen über Lebenskonzepte (der Frau) gestritten wird.
Themenschwerpunkt Türkei
Herausragend ist Belmin Söylemez „Present Tense“ (Simdiki Zaman), der in der Rubrik Fokus Türkei lief. Mina (Sanem Öge) lebt alleine in der türkischen Metropole und ist auf Arbeitssuche. Schließlich findet sie eine Stelle als Kaffeesatzleserin, in der sie Kundinnen etwas über ihre Zukunft und Situationen predigen soll. Das bekommt sie besser als gedacht hin, muss sie doch bloß ihre eigenen Ängste und Sorgen auf die anderen Frauen projizieren. Wer braucht schon einen gesellschaftlichen Überbau, wenn sich die Scharlatanerie auch subtil auf dem Arbeitsmarkt organisieren lässt? Mit dem Geld will sie irgendwann in die USA ausreisen.Vereinzelt unter vielen anderen Träumern nimmt sie an einer Greencard-Lotterie teil. Wortkarg und mit Totalen wie aus Antonioni-Filmen wird diese Großstadtentfremdung gezeigt. „Every moment is like a dream“, wird bezeichnenderweise in einer Karaokebarszene gesungen, denn der Umbruch pocht in diesem Film leise im Hintergrund. Manchmal ist Baulärm zu hören, der Stadtbau boomt, die Menschen stöhnen vor Last. Sowohl Mina als auch ihre Arbeitskollegin sind davon bedroht, ihre Wohnungen zu verlieren. Einerseits wird Platz für Hotels benötigt, andererseits werden Frauen ohne Mann in einer konservativen Gesellschaft lediglich toleriert. Überhaupt wird hier ein Umbruch gezeigt, in dem sich das Alte mit dem Neuen arrangiert: Leben und Arbeit stehen im Fahrwasser des Neoliberalimus, ein Fortschritt, wie er sich im Hokuspokus der Kaffeesatzleserei nicht absurder widerspiegeln könnte.
Zwischen Schönheitsidealen und Genitalverstümmelungen
In der Kategorie Panorama feierte unter der Anwesenheit der Regisseurin Claudia Richarz der Dokumentarfilm „Vulva 3.0. Zwischen Tabu und Tuning“ Deutschlandpremiere. Sexualpädagoginnen, ÄrztInnen und feministische Publizistinnen erläutern, wie das weibliche Geschlecht als Unsichtbares abgestempelt oder gar tabuisiert wird. Neben den Praktiken der Genitalverstümmelung in verschiedenen Kulturen wird auch ein Einblick in den westlichen Schönheitswahn gegeben. Besonders skurril wirkt eine Konferenz der Schönheitschirurgie, bei der die Anwesenden live einer OP zugeschaltet sind. Eine Ärztin kommentiert nach dem Schnipseln verblendet das Ergebnis ihrer Arbeit: „Die ist schön. Total amerikanisch, aber schön.“ Im anschließenden Publikumsgespräch mit der Regisseurin und dem Gynäkologen Dr. Zern, der ebenso im Film als Experte auftrat, kam berechtigterweise die Frage nach den Parallelen zwischen den Verstümmelungen und den Praktiken der Schönheitschirurgie auf. Der gesellschaftliche Druck sei bei uns sehr viel subtiler, so der Arzt. Recht hat er. Das ist ein Aspekt des Wandels, an dem sich der Platz der Frau in einer Gesellschaft bemessen lässt.
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