Je weiter hinten man im Klassenzimmer sitzt, umso leichter sollte es eigentlich fallen, im Notfall ein wenig zu mogeln. Könnte man meinen, aber im 21. Jahrhundert werden auch diese einstigen Freiräume fürs Spicken nun kameraüberwacht. Vor allem dann, wenn LehrerInnen wie Katharina ihren SchülerInnen per Internet aus hunderten Kilometer Entfernung auf die Finger schauen.
Die 25-jährige Katharina, die an der Ruhr-Uni Slawistik studiert, gibt per Skype Fremdsprachenunterricht für Polnisch und Deutsch. Ihre SchülerInnen sitzen bis zu 1.500 Kilometer entfernt. Während eines Aufenthalts in Krakau im Rahmen des Erasmus-Programms suchte sie über ein polnisches Internetportal einen Nebenjob. Dabei war der Sprachunterricht allerdings nur zweite Wahl, denn zunächst war sie in Krakau für eine Computerfirma tätig und übersetzte Spiele ins Deutsche. Was für viele KommilitonInnen ein Traum gewesen wäre – sich nämlich vorm eigentlichen Übersetzen erst zockenderweise in die Materie einzuarbeiten – wurde Katharina allerdings schnell langweilig, sodass sie zu einer Sprachschule wechselte. „Es gab jedoch nur einen Lehrraum“, erzählt sie. „Das heißt ich konnte von zuhause aus arbeiten.“ Oder eben auch mal aus einem ruhigen Café heraus, die Flexibilität war Katharina durchaus willkommen. Neben dem Lehrmaterial bekam sie noch einen Kopfhörer und einen Firmenaccount beim Internettelefondienst Skype bereitgestellt. „Zunächst unterrichtete ich aus Polen eine polnische Frau, die in Köln war.“ Katharinas Sprachschule unterrichtete nach der Callan-Methode. Aus einem entsprechenden Lehrbuch liest der/die LehrerIn in schnellem Tempo die Fragen vor, auf welche der/ die SchülerIn blitzschnell antworten müsse, erklärt Katharina. „Die Grammatik lernt man dabei durch das Sprechen und die Erklärungen sind immer recht kurz gehalten.“
Schimpfen will gelernt sein
Vor allem in die ungewohnte Unterrichtssituation über das Internet musste sie sich erst hineinfinden, und das nicht nur wegen der großen räumlichen Distanz. „Man muss lernen, durch das Mikro zu sagen, was man erwartet, und manchmal auch schimpfen, wenn die Hausaufgaben nicht gemacht wurden“, beschreibt Katharina ihren eigenen Eingewöhnungsprozess. „Doch durch Skype kann man alles machen, was man auch im Klassenzimmer macht. Selbst Diktate kann ich mit meinen Schülern schreiben und merke dank der Kamera, ob sie spicken.“ Unterricht über Skype sei allerdings für viele schwer vorstellbar, gibt Katharina zu. „Sie denken, wenn man sich nicht gegenüber sitzt, dann lernt man doch nie eine Sprache, aber das ist nicht richtig.“ Die Fortschritte seien auch über Kamera und Headset gut festzustellen. Die Arbeit bringe sowohl ihr als Lehrerin als auch ihren SchülerInnen Spaß, auch wenn dieser ab und zu durch nicht gelernte Vokabeln und fehlende Hausaufgaben getrübt wird. „Ich merke, dass es meinem Schüler gut geht, wenn er mit mir durch die Kamera die Zischlaute des Polnischen übt“, gibt Katharina sich optimistisch. Gerade die Zischlaute – auch im Deutschen – können für Nicht-Muttersprachler schwierig sein und schon mal für unfreiwillige Komik sorgen.
Der Arzt ist kein Arsch
„Meine polnische Schülerin sollte das Wort ‚Arzt‘ aussprechen, es fiel ihr schwer und sie sprach es immer als ‚Arsch‘ aus“, berichtet die Skype-Lehrerin. „Dasselbe Problem hatte ich mit meinem deutschen Schüler, der die polnische Verbform ‚musi‘ aussprechen sollte und mir nicht glauben wollte, dass es ausgesprochen wird wie ‚Muschi‘.“ Wenn sich der Unterricht übers Internet durch solche Versprecher auch mal unterhaltsam gestaltet, ist das umso besser. Am wichtigsten ist aber, dass überhaupt die Kommunikation in Gang kommt, was nicht bei allen SchülerInnen auf Anhieb gelingt. Ein zwölfjähriges polnisches Mädchen beispielsweise habe sich sofort mit Katharina unterhalten. „Sie wollte unbedingt Deutsch lernen, weil ihr Urgroßvater Deutscher war und sie sich verpflichtet fühlte – ganz ohne Beeinflussung der Eltern.“ Bei anderen sei es schon eine Herausforderung, die betreffenden SchülerInnen mit gezielten Fragen überhaupt zum Sprechen zu bringen. So gibt Katharina beispielsweise von Bochum aus Polnischstunden für Deutsche, die sich während einer Fortbildung in Polen nicht trauen, mit den Einheimischen zu sprechen. Ist sie selbst während der Semesterferien in Polen, verhalte es sich genau umgekehrt. Dann gibt sie etwa 20 Stunden in der Woche Deutschunterricht für in Deutschland lebende Polen. „Das ist dann so ein bisschen verkehrte Welt“, sagt sie. Aber solange alle ihre Freude am Lehren und Lernen haben, ist so etwas verkehrte Welt wohl zu verkraften.
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