Boh glaubse, da gibbet getz nochn Buch zua Sprache im Pott. Aber diesma einz, dat nich nua wat witzich is, sondern auch wissenschaftlich so Hand und Fuß hat! – Heinz H. Menge, der bis 2009 Professor für Germanistische Linguistik und Mediävistik war, hat sich nach seiner Emeritierung zwar von der Universität verabschiedet, nicht aber von der Wissenschaft. Im Gegenteil: Er bringt das Wissen dorthin, wo es hingehört – unter die Leute. Und so erschien diesen Herbst das Buch „Mein lieber Kokoschinski! Der Ruhrdialekt – aus der farbigsten Sprachlandschaft Deutschlands“.
Sprachwissenschaft ist überall. Als LinguistIn hat man seinen Forschungsgegenstand ständig um sich rum: die Sprache. Prof. Dr. Dr. h. c. Menge geht gezielt „auf seinem Bärenticket kreuz und quer durchs Ruhrgebiet“ auf die Suche und erzählt anschließend von seinen Beobachtungen. Die Dinge, von denen er erzählt, zeigen erstens, dass gesprochene Sprache unglaublich vielfältig ist, und zweitens, dass in allen von uns einE SprachwissenschaftlerIn steckt. Wie schon in seinen Vorlesungen an der Ruhr-Uni versteht es Menge auch in seinem Buch, seinen LeserInnen bzw. StudentInnen die Ohren zu öffnen. Beachtenswerte Eigentümlichkeiten und sprachliche Rätsel gibt es überall. Nur die Methode unterscheidet die Profi-LinguistInnen von den LaiInnen. Und die wird in „Mein lieber Kokoschinski“ mal eben im Vorbeigehen vorgestellt.
Dat is echt Ruhrpott, ne
Was ist überhaupt das Ruhrgebiet? Ist es der Regionalverband Ruhr oder doch die Gegend, wo die Ruhrgebietsausgabe der „Bild“-Zeitung erscheint? Da die gängigen Definitionen dem Autor nicht gefallen – es will etwa „nicht gelingen, Wesel als Ruhrgebietsstadt zu sehen“ –, bleibt der Bochumer bei einer zwar unwissenschaftlichen, aber sympathischen Definition: Ruhrgebiet, das muss man selbst spüren und erleben.
Entsprechend vielfältig ist auch die Sprachlandschaft im Revier. Den einen „Ruhrdialekt“ gibt es nicht, die DuisburgerInnen sprechen anders als die DortmunderInnen. Da gibt es die wol/ne-Grenze, die grob entlang der B 235 verläuft. Doch Zeiten ändern sich: Wenn Menge in Langendreer den Menschen zuhört, so hört er die Alten „wol“ sagen und die Jungen „ne“. Nebenbei lernen wir, dass solche Wörtchen mit dem total klug klingenden Wort „Rückversicherungspartikel“ bezeichnet werden.
Die Centrumstraße liecht gaa nich so sehr im Zentrum
Ein stets populäres Teilgebiet der Linguistik ist die Onomastik, die populärer klingt, wenn man sie Namensforschung nennt. „Otto Rehhagels TuS Helene“ heißt ein Kapitel im Buch, in dem wir erfahren, dass das linguistische Erbe der Schwerindustrie in Sportvereinen, Kleingartenanlagen und Haltestellen weiterlebt. Menge, der in seiner wissenschaftlichen Laufbahn so viele starre Texte und langweilige Fußnoten verfassen musste, wirft über Bord, was die Wissenschaft so elitär und langweilig macht, und rüttelt mit Fußnoten wie „Weil sie so schön ist, hier die Tabelle der (Kreis)Liga (A des Kreises Essen-Nordwest) von Anfang März 2013“ an den Fundamenten des Elfenbeinturms. Und ja, so isses: TuS Helene ist kein Griechenverein, sondern nach einer alten Zeche benannt.
Von Hölzken auf Stöcksken
Was in Professor Menges Lehrveranstaltungen aufregend und motivierend rüberkam, ist des Buches Schwachstelle. Wenn der Dozent von Hölzken auf Stöcksken kommt und ein Grammatikseminar einen Exkurs über Phonologie oder eine Anekdote über chinesische Kommniukation erfährt, ist das auflockernd. Wenn aber im Buch der Stil wechselt, dann und wann ein Ich-Erzähler auftaucht oder Tabellen, Listen und Aufzählungen unmotiviert dastehen, wirkt das wenig professionell und kaum durchdacht.
Stört man sich nicht daran, kann man mit Herrn Menge in der S-Bahn durch Industrie- und Sprachlandschaften reisen. Dabei erfährt man, dass die Einflüsse des Polnischen auf die Ruhrgebietssprache gar nicht so groß sind, wie immer noch alle behaupten, obwohl der Autor schon in den 70er Jahren wissenschaftlich bewiesen hat, dass die Grundlage vom Pottdeutschen das Plattdeutsche ist (wobei die damalige Publikation weitaus weniger Publikum gefunden haben dürfte als „Mein lieber Kokoschinski!“); dass aber wohl die hiesigen Nachnamen oft polnischen Ursprungs sind, auch wenn sie so deutsch wie Matthöfer klingen. Man lernt ebenso, dass computergenerierte Haltestellenansagen doof sind; und vor allem, dass Sprache, egal wo und in welcher Form sie auftritt, was Schönes, Interessantes und zum Nachdenken Anregendes ist.
Von der Vorlesung zur Lesung
Heinz H. Menge liest hier und da aus seinem Buch und schweift auch da gerne mal während einer Abschweifung ab. Das nächste Mal ist er am 14. Dezember, ab 14.30 Uhr in der Buchhandlung Platzer, Paßstraße 32 in Essen-Steele zu sehen. Dabei gibt es auch was zu essen („Gibt Lecker!“), deshalb wird um Voranmeldung unter info@platzer-buch.de oder unter der Nummer 0201-511145 gebeten.
Heinz H. Menge:
„Mein lieber Kokoschinski! Der Ruhrdialekt – aus der farbigsten Sprachlandschaft Deutschlands“
Henselowsky Boschmann, 2013.
127 Seiten, gebunden, 9,90 Euro.
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